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  • (K)ein Silvester ohne Feuerwerk?

    Alle Jahre wieder entfacht die Debatte um Silvesterfeuerwerk. Steigende Verkaufsumsätze – steigen-de Verletzungen, Angriffe und Grade der Erderwärmung. Warum böllern wir? Eine gesellschaftliche Frage.

    Morgen, am 28. Dezember, startet der Verkauf von Silvesterfeuerwerk. Ein Angebot, nur drei Tage im Jahr. „Zu Silvester gehört ein Feuerwerk“, erklären Befürworter ihren Kaufrausch. Etwa so wie: „Das haben wir schon immer so gemacht.“  Jährlich tummeln sich etliche Interessierte früh morgens vor verschlossenen Supermarkttüren, um die ersten zu sein und die großen bunten Pakete stapelweise ins Auto zu stopfen. Werksverkäufe öffnen ihre Hallen schon weit bevor der Unterricht in Schulen beginnt. Richard Eickel, Geschäftsführer des deutschlandweiten Feuerwerkshändlers Comet, blickt dem Verkaufsstart zuversichtlich entgegen: „Die letzten beiden Jahre sind sehr zufriedenstellend für uns gelaufen, daran werden wir sicher auch in diesem Jahr anknüpfen.“

    Tatsächlich erreicht die Feuerwerksbranche Höchstumsätze: Zum Jahreswechsel 2022/23 wurden laut dem Verband der pyrotechnischen Industrie mit 180 Millionen Euro Rekordeinnahmen verzeichnet, die deutlich über den Spitzenwerten der Vor-Corona-Jahre liegen. Die Deutschen können scheinbar nicht ohne ihr Feuerwerk.

    Gleichzeitig zeigen repräsentative Umfragen: Die Mehrheit der Bevölkerung spricht sich für ein Verbot von privatem Feuerwerk aus. Stimmen aus Politik und Gesellschaft werden jedes Jahr lauter. Wie passt das zusammen?

    Ja zum Böllerverbot?
    Auch in Leipzig ist der Einsatz von Silvesterfeuerwerk umstritten. Neben der Verbraucherschutzzentrale und diversen Umweltverbänden plädieren auch Tierschutzverbände, Polizei, Feuerwehr und Krankenhäuser bundesweit für eine stärkere Einschränkung. Im April dieses Jahres brachte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag zur Silvesterfeuerwerksbeschränkung in den Leipziger Stadtrat ein. Der Oberbürgermeister solle demnach unter anderem alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Beschränkung ausschöpfen und sich im Städte- und Gemeindetag für eine Änderung der Sprengstoffverordnung einsetzen, sodass Kommunen erweiterte Möglichkeiten für die Einrichtung von Sperrzonen erhalten können. Darüber hinaus wird im Antrag der Fraktion gefordert, „durch die Verwaltung ein Konzept zur Durchführung einer zentralen Silvesterfeier mit Einbindung von professionell durchgeführtem Feuerwerk“ aufzustellen. Man wolle die Möglichkeit des gemeinsamen Erlebens und Feierns anbieten.

    Dieser Antrag wurde geändert in einer öffentlichen Beratung auf der Stadtratssitzung beschlossen. Zu seiner Umsetzung liegt seit dem Sommer ein Zwischenbericht vor, der zeigt, welche Beschlüsse bisher in welcher Form realisiert wurden.

    Eine Änderung des Sprengstoffgesetzes erfolgte bisweilen auf Bundesebene nicht. Aus Sicht des Deutschen Städtetages benötigen die Städte Instrumente, um leichter und rechtssicherer Feuerwerksverbotszonen einrichten zu können. In Sachsen gibt es kein eigenes Landesimmissionsschutzgesetz, das in der Ausgestaltung bundesrechtlicher Regelungen weitere Einschränkungen erlauben würde. Das Bundesinnenministerium hat mit einem Schreiben vom 10. Januar 2024 jedoch zum Ausdruck gebracht, dass nach seiner Wahrnehmung weder in der Bevölkerung noch in den Ländern oder Parteien bisher eine klare Mehrheit für eine Erweiterung dieser Verbotsmöglichkeiten erkennbar ist, heißt es in der Sachstandserklärung des Zwischenberichtes.

    Ein wichtiger Termin im Kalender? Foto: ab

    Im November schlossen sich mehrere Bundesländer zu einer Bundesratsinitiative zusammen, um gemeinsam die Änderung der Verordnung des Sprengstoffgesetzes zu fordern. Im Innenausschuss des Bundesrates hatten die Länder bereits zugestimmt. Dieser lehnte schließlich vorerst ab, woraufhin die Deutsche Umwelthilfe noch einmal Anfang Dezember in einem offenen Schreiben mit dringendem Entscheidungsbedarf an die Innenministerkonferenz appellierte. Ein Regelungswirrwarr verstrickt auf Bundes- und Landesebene? „Es gibt eigentlich kaum etwas in Deutschland, das so reglementiert ist, wie das Abbrennen von Feuerwerk. Es ist nach der ersten Sprengstoffverordnung verboten in unmittelbarer Nähe von Kirchen, Krankenhäusern, Kinder- und Altersheimen oder besonders brandgefährdeten Häusern. Kommunen haben bereits heute die Möglichkeit, das Abbrennen von Feuerwerk in Brennpunktbereichen zu untersagen. Auch der erlaubte Zeitraum ist ganz klar reglementiert“, äußert sich Comet-Geschäftsführer Eickel zu den jüngsten Initiativen. Ein generelles Verbot privaten Feuerwerks wird also so schnell nicht geben.

    Risiken und Nebenwirkungen
    Soll man die jährlichen Verletzungen und Brände in der Silvesternacht einfach akzeptieren? Zum Jahreswechsel 2022/23 starb ein 17-Jähriger nahe Leipzig an seinen Verletzungen durch Pyrotechnik. Das ist kein Einzelfall. Auch Angriffe gegenüber Einsatzkräften der Feuerwehr, des Rettungsdienstes und der Polizei nahmen in den letzten Jahren drastisch zu. Feuerwerk kann nicht nur dem Menschen das Leben kosten: Auch für die Umwelt hat das Abbrennen erkennbare Auswirkungen: Belastungen für Tiere, Lärm und Abfall, erhöhte Feinstaub- und CO₂-Emissionen. Können wir uns ein bisschen Böllern angesichts der globalen Klimaveränderung überhaupt leisten?

    Das 1,5-Grad-Ziel der Erderwärmung wurde bereits in diesem Jahr verfehlt, dennoch schießen Millionen Haushalte sorgenfrei ihre Raketen gen Himmel. In Hochrechnungen des Bundesverbandes für Pyrotechnik und Kunstfeuerwerk (BVPK) habe Silvesterfeuerwerk aber nicht so erheblich große negative Folgen für die Umwelt wie viele annehmen: Die fossilen CO₂-Emissionen entsprechen einem Anteil von 0,00013 Prozent an den jährlich in Deutschland ausgestoßenen Treibhausgasen. Nach Angaben des BVPK beträgt die Feinstaubbelastung von Feuerwerk 0,7 Prozent eines Jahres. Ein zu hoher Anteil an Feinstaub führe laut Bundesumweltministerium zu Atemwegs- und Herzkreislauferkrankungen. Ein gesundheitliches Risiko?

    Das BVPK versucht, die Bedenken auszuräumen und ins Verhältnis mit anderen Faktoren zu setzen: Feinstaub aus Feuerwerk trete nur einige wenige Stunden an Neujahr auf, während beispielsweise das ganze Jahr Auto gefahren wird. Beim Ruß aus der Kraftstoffverbrennung handle es sich um wasserresistente Partikel, die sich in der Lunge oder den Blutgefäßen ablagen, wohin gehend der Feinstaub in Feuerwerk überwiegend aus wasserlöslichen, aus Atemwegen und Lunge auswaschbaren, Salzverbindungen bestehe und damit toxikologisch unbedenklich sei. In der Feuerwerksproduktion gelten zudem hohe Standards, die die Verwendung gefährlicher Substanzen untersagen. Dazu sind alle in der EU ansässigen Hersteller und Importeure verpflichtet.

    Der entstehende Müll werde vom BVPK auf 0,05 Prozent der jährlichen Abfallmenge eines durchschnittlichen Haushalts geschätzt. Mindestens 90 Prozent seien dabei biologisch abbaubar, weil sie aus Pappe, Ton oder Holz bestehen. Themen wie Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit beschäftigen die großen Feuerwerkshersteller, sie überarbeiten ihre Produkte stetig: Auf Plastik soll als Bestandteil der Feuerwerksartikel und in deren Verpackungen verzichtet werden. Bei Comet gelingt das nach eigenen Angaben bereits zu 97 Prozent. So werden beispielsweise Raketenspitzkappen, Zündschnurabdeckungen und Fontänenfüße durch kompostierbares Material wie Pflanzenfasern ersetzt. Verpackt werden die Produkte in Pappe. In vielen Produkten liege der Schwerpunkt zudem auf Leucht- statt Knalleffekten. „Böller sind nicht mehr gefragt“, sagt Eickel, „die Kunden wollen große, schöne, bunte Effekte am Himmel geboten bekommen.“  Doch auch das geht nicht ohne Knall.

    Kein Feuerwerk ohne Silvester?
    Warum feiern wir den Jahreswechsel überhaupt mit Feuerwerk? Im Schnitt bleibt der Himmel 350 Tage – abzüglich bundesweit verschiedener städtischer Feierlichkeiten, die mit einem Feuerwerk als Höhepunkt werben – ruhig. Am letzten Tag des Jahres kitzelt es bei Vielen bis in die Fingerspitzen. Die Sehnsucht, aus gesellschaftlichen Zwängen auszubrechen, wird unerträglich, findet ihren Höhepunkt in einem kollektiven „Ausrasten“. Und das nennt man Tradition. Die Vertreibung böser Geister ist ein Jahrhunderte alter Brauch. Der 31. Dezember liegt genau in der Mitte der besonders langen und dunklen „Rauhnächte“. Die alten Germanen glaubten, der Kriegsgott Wotan treibe dann sein Unwesen und ziehe mit einem Gespenster-Heer durch die Lüfte. Daher veranstalteten sie selbst ein „Höllenspektakel“ und machten so viel Lärm wie möglich. Holzräder wurden angezündet und brennend ins Tal rollen gelassen.

    Im Mittelalter machte man Krach mit Rasseln, Trommeln und Trompeten. Der Brauch, Sprengstoff bei Festen zu verwenden, soll aus China um 1200 stammen. Europa erreichten die Raketen schließlich zur Barockzeit, doch standen zunächst nicht mit Silvester in Verbindung. Der Adel brauchte krönende Abschlüsse für Feste wie Hochzeiten und Geburten. Der Masseneinsatz zu Silvester, wie wir ihn kennen, begann erst Anfang des 20. Jahrhunderts. Etwa vier Generationen üben diese kulturelle Praktik seitdem aus. Traditionen sind im langsamen, aber stetigen Wandel. Ein Silvester ohne Feuerwerk ist vielleicht näher als wir den Raketen hinterherblicken können.

    Und was jetzt tun?
    Für dieses Jahr plant die Stadt Leipzig laut Ordnungsamt keine zusätzlichen Verbotszonen zum Zünden für zulässige Pyrotechnik, die über die gesetzlichen Verbote der Sprengstoffverordnung hinausgehen. Die Pressestelle des Oberbürgermeisters bestätigt luhze: „Wie aus der Dienstberatung des Oberbürgermeisters hervorgeht, ist ein stadtweites Verbot unverhältnismäßig, da keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht. Eine Eingriffskompetenz gibt es nur im Einzelfall“. Jährlich werden Medieninformationen zu einem vernünftigen Umgang mit Feuerwerk an Silvester von der Stadt bereitgestellt, um die Bürger*innen zu sensibilisieren, heißt es, und um auf die „Umweltaspekte“ aufmerksam zu machen. Vom Amt für Umweltschutz ist ein Flyer „Feuerwerk – Muss das sein?“ in den Bürgerämtern sowie online zu finden. Im April schrieb die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in ihrer Antragsbegründung im Leipziger Stadtrat: „Die bisherigen Informationen der Stadt im Vorfeld von Silvester sind eher verhalten. Zielstellung ist es, im Rahmen einer breit angelegten Informationskampagne auf die Gefahren und die Umweltbelastung sowie die Verletzungsgefahr insbesondere durch illegal importierte Feuerwerke hinzuweisen und darüber zu informieren, dass der Einsatz von Feuerwerk stärker beschränkt und kontrolliert wird.“

    Pappe statt Plastik, Comet zeigt die umweltfreundlichen Neuerungen im Sortiment. Foto: ab

    Man erinnere sich auch an die anfangs dargelegte Beschlussforderung, ein zentrales Feuerwerk oder eine Lasershow zu organisieren, um privates Böllern und damit verbundene Risiken und Nebenwirkungen zu reduzieren. Der Stadtrat wollte „die Finanzierung sowie die Voraussetzungen zur Erstellung eines Konzeptes zur Durchführung einer zentralen Silvesterfeier“ prüfen. Dabei beziehe man die gewonnenen Erfahrungen aus Berlin und Stuttgart ein, die seit Jahren zentral organisierte Feuerwerke in ihren Innenstädten veranstalten. Der nächste Termin zur Kontrolle der Beschlussumsetzung im Leipziger Stadtrat ist für August 2025 angesetzt, vorerst wird es also keine zentralen Feuerwerksveranstaltungen oder Drohnenshows geben – und das, obwohl bereits 2021 Ideen angebracht wurden, an signifikanten Orten wie beispielsweise dem Connewitzer Kreuz ganze Silvesterfeste auf den Straßen zu veranstalten, mit einem gemeinsamen, städtisch organisierten Feuerwerk.

    Die Stadt schrieb zuletzt in ihrem Zwischenbericht, dass sie eigentlich keine rechtliche Handhabe habe, um ein von ihr selbst organisiertes Feuerwerk zur Ersatzveranstaltung für private Feuerwerke zu bestimmen. „Durch das städtische Feuerwerk würden somit Belastungen entstehen, die zu den von den Privatfeuerwerken ausgehenden hinzutreten würden, wodurch das Kernziel des Beschlusses konterkariert werden würde. Dass eine nennenswerte Zahl von Leipzigern durch ein städtisches Feuerwerk davon abgehalten werden würde, zum Jahreswechsel selbst Pyrotechnik zu zünden, lässt sich nicht prognostizieren.“ Sowohl für die Erstellung des ausführlichen Konzeptes als auch für die Durchführung der Veranstaltung wäre laut der Stadt mit erheblichen Kosten zu rechnen. Man wolle zunächst beobachten, ob in der Privatwirtschaft Pläne existieren, ein zentrales Silvesterfeuerwerk zu veranstalten.

    Und wie steht es um Drohnenshows? Die seien zumindest im Sinne der Nachhaltigkeit Quatsch, sagt Eickel. „Durch das Bedienen von ungefähr 50 Drohnen und das Laden derer Akkus entsteht weitaus mehr CO₂. Eine Drohnenshow ist für die Gemeinden teurer und weniger nachhaltig.“
    Ob es bald zu Einigungen in Politik und Gesellschaft kommen oder ob sich das Feuerwerk bis dahin selbst in Luft auflösen wird, steht vorerst in den Sternen, aber vielleicht schon in denen der nächsten Jahre. Bis dahin bleibt die Debatte um Silvesterfeuerwerk wohl erstmal ein jährlicher Sprung auf der Platte der schönsten Lieder zum Reinrutschen.

    Titelbild: ab

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