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  • Eine Spinne im sozialen Netz

    In den sozialen Medien abzuhängen ist auch für Kolumnistin Toni Alltag. Doch einmal ins Netz gegangen, hängt an wem nun die Verantwortung für das, was da so abgeht?

    Zum montagmorgendlichen dritten Kaffee ploppt pünktlich der Wochenbericht meiner Bildschirmzeit auf dem Handy auf. Eine Konstante, die sich auch in diesem Jahr nicht ändern wird. Den Neujahrsvorsatz, weniger durch die sozialen Medien zu scrollen, habe ich nach den ersten drei Tagen allerdings wieder aufgegeben. Ich bin durchschnittlich drei Stunden am Tag auf Whatsapp, Instagram und Co unterwegs – ist das normal? Oder zu viel? Und was konsumiere ich da eigentlich?

    In den letzten Wochen ist die Debatte um soziale Medien sehr laut geworden. Australien machte mit der Einführung eines Verbots für Kinder und Jugendliche weltweit Schlagzeilen. Demnach müssen junge Menschen mindestens 16 Jahre alt sein, um auf Netzwerken wie Tiktok, Instagram, Facebook, Snapchat, Reddit und X zu surfen. Ein solches Gesetz gibt es in keinem anderen Land. In Australien gilt es seit dem Jahreswechsel, Anbieter*innen haben eine Übergangsfrist von zwölf Monaten, um die neue Altersbeschränkung durchzusetzen. Unter-16-Jährige sollen systematisch daran gehindert werden, Accounts auf den Plattformen der sozialen Medien zu betreiben. Wie genau das funktionieren soll, ist allerdings noch unklar. Die australische Regierung hat Details zur Umsetzung des Gesetzes auf die Zeit nach der in diesem Jahr anstehenden Parlamentswahl geschoben. Rechtsexpert*innen und Jugendforscher*innen halten das radikale Verbot für den falschen Weg, wie aus einem offenen Brief der australischen Nicht-Regierungs-Organisation „Analysis and Policy Observatory“ hervorgeht.

    Die australischen Politiker*innen begründen das Verbot der sozialen Medien für Kinder und Jugendliche mit Risiken für ihre körperliche und geistige Gesundheit. Die Gefahr ist groß, im Internet Mobbing und die Verbreitung von Gewalt zu erfahren. Influencer*innen zeigen ihre unrealen Lebenswelten, die neuesten Trends und Schönheitsideale. Gefährliche Stunts aus dem Extremsport und täglich neue Tiktokchallenges verleiten zum Nachmachen. Belohnungssysteme wie Likes und Follower machen es schwer, sich nicht mit anderen zu vergleichen – und die sozialen Medien wimmeln vor vermeintlich besseren und schöneren Menschen.

    Wenn ich Instagram öffne, sehe ich unter den vorgeschlagenen Personen immer öfter Konten von Kindern aus meinem kleinen Heimatort, die gerade mal so die Grundschule hinter sich haben. Als ich einen Account auf Instagram erstellt habe, war ich 15 Jahre alt, Snapchat hatte ich ein oder zwei Jahre früher. Ich habe den Account auf dem Pausenhof in der Schule erstellt, die meisten meiner Freund*innen hatten schon längst einen. Es fühlte sich überfällig an. Die ersten Posts, ein Bild aus dem Paris-Urlaub vom Eiffelturm, den ich versuchte, mit meinen Händen zu halten oder Schnappschüsse mit meinen Freund*innen in der Schule, sind heute schon lange aus meinem Feed gelöscht, doch schwirren sicher noch irgendwo im Internet herum. Keine Ahnung, was damit passiert. Auch dass ich früher fast allen Anfragen ein freundliches „Hi“ zurückschrieb und random Typen zurück snapte, finde ich heute ziemlich befremdlich. Auf ungewollte Dickpics hätte ich gut verzichten können. Die offizielle Altersfreigabe von Snapchat liegt bei 13 Jahren. Das Alter wird bei der Registrierung abgefragt, die Richtigkeit der Angaben allerdings nicht überprüft. Kein Problem also, sich schon in der Grundschule einen Account zu erstellen. Aber ab wann ist man alt genug, zu verstehen, was passieren kann und vor allem um damit umzugehen? Ist es überhaupt weniger schlimm, ein ungewolltes Dickpic mit 17 zu kriegen als mit 13?

    Portraitfoto der Autorin

    „Lieg ich dir auch am Herzen? Drück unterm Bild auf dieses
    Herzchen“, singt Faber.

    Ein Gesetz wie in Australien würden drei Viertel der Menschen in Deutschland befürworten, zeigt eine aktuelle repräsentative Online-Umfrage von YouGov. Die sozialen Medien haben nun mal einen erheblichen Einfluss auf unsere Sozialisation. Wer vor ein paar Jahren geboren wurde, wächst unausweichlich mit ihnen auf. Doch bei wem liegt die Verantwortung? Kindererziehung ist Aufgabe der Eltern, dazu spielen Schule und Peergroups eine wichtige Rolle in der Sozialisation eines*r Heranwachsenden. In Anbetracht der Risiken klingt ein Verbot verlockend, der Staat kümmert sich und alles wird gut. Aber darf der Staat entscheiden, was gut für ein Kind ist?
    Ein Verbot versperrt vielmehr die Türen für nachhaltige Ansätze, den Umgang mit digitalen Medien zu fördern und die psychische Gesundheit von Schüler*innen zu stärken. Statt auf Verbote, müsse die Politik auf Prävention setzen, das sagte auch zuletzt die Landesschülervertretung in Thüringen, als ihr Bildungsminister sich positiv zur australischen Vorgehensweise äußerte und den Wunsch aussprach, Handys aus thüringischen Grundschulen zu verbannen.
    Doch das Einzige, was man bei einem Verbot lernt, ist, wie man es am besten umgeht. Das fördert vielleicht Kreativität und Willenskraft, in diesem Fall aber sicher nicht die Medienkompetenz. Medienkompetenz bedeutet mehr, als lediglich mit der Technik umgehen zu können. Vielmehr sollten Kinder und Jugendliche die Möglichkeit bekommen, soziale Medien verantwortungsvoll und reflektiert zu nutzen. Warum soll ich jemanden bis zu seinem 16. Lebensjahr gnadenlos beschützen, um ihn dann rücksichtslos vom einen auf den anderen Tag reizüberflutet in etwas unendlich Großes reinstürzen zu lassen?

    Die digitale Welt ist unendlich groß, aber vielleicht liegt darin auch eine ganze Menge Gutes. Wir können mit Menschen, denen wir gerade nicht gegenüber sitzen, problemlos in Kontakt treten, mit ihnen chatten oder facetimen, wenn die Internetverbindung stabil ist. Soziale Medien sind eben vor allem sozial und stillen damit ein Grundbedürfnis des Menschen.
    Das Internet speichert aber auch ohne Ende Wissen und sekündlich kommen neue Informationen dazu. Die sozialen Medien werden für jüngere Menschen zu einer immer wichtigeren Nachrichtenquelle. Statt fernzusehen oder Radio zu hören, klicke ich mich täglich durch die Instagramposts von Tagesschau, Spiegel und Co, um binnen weniger Sekunden informiert zu sein. Da aber so ziemlich jede*r auf den sozialen Medien posten kann und Quellen viel schwerer nachzuvollziehen sind, gibt es eine viel große Gefahr von Fake News und Desinformationen, die es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und Rundfunk so nicht gibt.

    Soziale Medien tragen auch zur politischen Sozialisation bei, worin Fluch und Segen zugleich liegen. Debatten verbreiten sich rasant in sozialen Netzwerken. Millionen User tauschen ihre Meinungen aus und partizipieren so an politischen Prozessen. Durch ihr maßgebliches Mitwirken in der Herstellung von Öffentlichkeit beeinflussen Soziale Medien, ob politische Diskurse verständigungsorientiert oder polarisierend verlaufen. Themen können binnen kurzer Zeit unglaublich viele User erreichen. So auch zuletzt, als nach der in den letzten Tagen entstandenen Diskussion um Thilo Mischke, die ARD bekanntgab, er werde doch nicht Moderator des Kulturformats „titel, thesen, temperamente“. Dem Journalisten wurde Sexismus und Frauenfeindlichkeit vorgeworfen. 100 Kulturschaffende protestierten vor Weihnachten in einem offenen Brief, die Debatte ging auch in den sozialen Medien viral. Unter dem Beitrag des Statements der ARD-Redaktion auf dem Instagramkanal der Kultursendung gibt es über 1700 Kommentare, was deutlich über der durchschnittlichen Anzahl an Kommentaren und Reichweite anderer Beiträge des Kanals liegt.
    Doch das Problem sind auch die Algorithmen: Auf Tiktok wird die Ausspielung von populistischen und besonders emotional aufgeladenen Inhalten begünstigt. Davon profitieren vor allem auch rechtsextreme Netzwerke, die die Meinungsbildung junger Menschen gezielt beeinflussen wollen. Es gibt kaum Barrieren, rechtsextremistische Inhalte jugendaffin auf Tiktok in kurzen Clips oder trendigen Tänzen zu verbreiten. Man tanzt quasi in die Propaganda. Auf der Seite des Jugendschutzes wird auf das hohe Potenzial an Desinformation und Radikalisierung auf Tiktok verwiesen. Politische Akteur*innen mobilisieren die Wähler*innen von morgen. Ihre Beiträge werden zwischen nicht-politische Beiträge gespült und fluten Millionen Displays junger User – und Emotionen sind ein effektives Werkzeug, um Inhalte zu transportieren. Darin liegt eine Gefahr, für die sich scheinbar niemand verantwortlich fühlt.

    Als ich 15 war, habe ich mir keine Politik-Talkshows oder Bundestagsdebatten angeschaut, sondern mein Verständnis und meine Meinung zur Politik aus Schule, Freunden, Familie und irgendwie auch dem Blick durchs Handy gebildet. Die sozialen Medien beeinflussen nicht nur, was wir kaufen, was wir cool finden und wie wir sind, sondern eben auch, wie wir uns politisch sozialisieren. Und dieser Einfluss wächst enorm, da immer mehr, aber auch immer jüngere Menschen an ihnen teilhaben.

    Wer soll nun die Verantwortung tragen? Die Plattformkonzerne stellen ökonomische über moralische Interessen. Statt Altersbeschränkungen einzuführen, sollte die Politik dringender die Anbieter*innen verpflichten, die Funktionslogik ihrer sozialen Medien samt der Algorithmen, Filterblasen und Echoklammern zu überarbeiten. Durch den staatlichen Druck der letzten Jahre, kam es zumindest zur Einführung verstärkter Richtlinien für den Jugendschutz auf den Plattformen. Möchte man an diesen Fortschritt anknüpfen, wäre ein Verbot für Kinder und Jugendliche wohl eher kontraproduktiv: Wenn diese keine Zutritt zu den sozialen Medien haben, müssen die Konzerne ihre Angebote auch nicht für sie verbessern.
    Eine Frage der politischen Bildung? In Schulen fehlen aber Geld, Lehrkräfte und Kapazitäten, um die Medienkompetenz zu fördern. Mit der Stärkung der psychischen Gesundheit sieht es in allen Altersschichten der Gesellschaft übel aus. Eltern können ihren Kindern auch nicht allumfassend in den sozialen Medien zur Seite stehen.

    Wer einmal im Netz (der Spinne) hängt, muss wohl vorerst weiterhin auf sich selbst aufpassen.

     

    Fotos: privat

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