Schafft die Feiertage endlich ab
Unser Kolumnist Karl hat sich mit vollgeschlagenem Bauch Gedanken gemacht und findet: Mit Weihnachten und Silvester muss endlich Schluss sein!
Mein Weihnachten endet jedes Jahr mit einer unrühmlichen Tradition, die ich jedoch garantiert mit vielen Leser*innen teile. Während meine Familie meist Maß hält und es bei zwei bis drei Klößen belässt, liege ich nach deren acht bis zehn meist für einige Stunden regungslos auf dem Sofa und warte darauf, dass mein Bauch endlich aufhört, weh zu tun. Meist nutze ich dann den Moment zum Innehalten und lasse die Weihnachtszeit Revue passieren.
Dabei komme ich jedes Jahr aufs Neue zu dem Schluss, dass man im nächsten Jahr nun wirklich mal Weihnachten abschaffen müsste und Silvester gleich mit. Nun werden die meisten diese Gedanken auf meine Blutleere im Hirn beim angestrengten Verdauen zurückführen, doch bei näherer Betrachtung fallen mir viele Argumente gegen die Feiertage ein und nur wenige dafür.
Zunächst muss gesagt werden, dass ich einigermaßen atheistisch sozialisiert wurde und mir daher eine spirituelle Bedeutung jeglicher Feiertage abhanden geht. Selbstverständlich respektiere ich den Glauben anderer und das Singen und die Feierlichkeiten in der Kirche sind sicherlich ein Argument pro Weihnachten. Aber warum sollte man sich auf ein Fest verlassen, nur um zu seinem Glauben, dem Gesang, persönlichem Innehalten oder der Familie zu finden? Wäre es nicht viel angebrachter, sich nach individuellen Bedürfnissen Zeiten oder Rituale zu überlegen, in denen man beispielsweise mit der Familie zusammenkommt? Das würde einiges flexibler machen und gerade den Menschen, die vielleicht kein so gutes Verhältnis zu ihrer Verwandtschaft haben, den Druck nehmen, den die Weihnachtszeit jedes Jahr erzeugt. Deren einzige beiden Optionen wären dann vielleicht nicht alleine an Heiligabend in der leeren WG zu hocken oder mit dem jedes Jahr weiter nach rechts rückenden Onkel über Gendersternchen und Binnen-Is zu streiten.Außderdem würde man allen eine geballte Phase voll Stress wegen aller möglichen Besorgungen ersparen.
Doch ein Entzerren von Familientreffen, exzessivem Essen und sinnlosen Geschenken auf das ganze Jahr ist nicht in Sicht. Auch wenn Vertreter*innen des Einzelhandels von der diesjährigen Vorweihnachtszeit enttäuscht waren, da aufgrund mangelnder Kaufkraft und allgemeiner Verunsicherung in der Bevölkerung vergleichsweise geringere Umsätze erzielt werden konnten, boomt in den meisten Jahren der Einzelhandel im November und Dezember. Wäre bei schwächelnder Konjunktur vielleicht auch dieses Mal garnicht so schlecht, auch wenn sich über private Investitionen in Playstations und Legopaläste streiten lässt, wäre da nicht was mit der globalen Erwärmung und immer düsteren Klimaprognosen.
Laut statistischem Bundesamt werden allein in Deutschland pro Jahr rund 13,6 Kilogramm Schokolade pro Kopf produziert. Dass der Kakao aus tropischen Gebieten kommt, in denen meist Regenwälder gerodet werden, damit dann Kinder bei lächerlicher Bezahlung die Bohnen pflücken, um hier Preise von unter einem Euro pro Tafel zu erzielen, ist nichts Neues, dennoch blendet man es gerne aus, wenn wieder einmal 227 Schokoweihnachtsmänner à 60 Gramm (macht 13,6 Kilogramm) unter dem Weihnachtsbaum stehen.
Dieser ist von Kerzen hell erleuchtet, Produkte aus nicht recyclebarem Mineralöl, die häufig aus China importiert werden. Für die etwas Ernährungsbewussteren gibt es statt Schokolade ein paar Nüsse, wahlweise aus dem völlig ausgedörrten Kalifornien, der politisch mindestens fragwürdigen Türkei oder dem ebenfalls von Dürre geplagten Spanien importiert.
Dabei sind wir noch gar nicht beim Hauptgang. Ob aus Ostasien importierter, stark Beifang-belasteter Karpfen, in wenigen Monaten gemästete Gänse oder Enten aus Polen und Ungarn, vielleicht auch Qualfleisch-Wiener, es ist für alle etwas dabei. Gerade einmal zwei Prozent der Deutschen setzt auf Bio-Fleisch an Weihnachten. Die Nächstenliebe beim Fest gilt wohl nicht für die Tierwelt, wobei von diesem Vorwurf explizit Menschen ausgenommen sind, deren finanzielle Lage Bio-Nahrung unmöglich macht.
Wer nach Weihnachten immer noch nicht genug hat, für den hat sich die Konsumgesellschaft direkt das nächste Highlight ausgedacht: Silvester. Trotz mehrerer Toter jedes Jahr, hohen Ausgaben durch riesige Polizeieinsätze, tausender toter oder verletzter Wildtiere, Retraumatisierung von Menschen, die vor Kriegen hierher geflüchtet sind und massiver Feinstaubbelastung durch Feuerwerk verstummt die Debatte um ein Böllerverbot jedes Jahr spätestens mit den Neujahrsvorsätzen der meisten, also jetzt, Mitte Januar. Einer der Monate, in denen die Werbeindustrie etwas ruht, bevor im Februar schon wieder der Valentinstag ansteht.
Doch bevor ich mich zum absoluten Anti-Hedonisten schreibe, kriegen wir lieber schnell die hoffnungsvolle Kurve. Auch ich gebe mich dem Konsum hin, wie bereits oben beschrieben, aber es gibt Hoffnung. Denn Weihnachten und Silvester sind bei Weitem nicht völlig schlecht. Sie erinnern uns an wichtige Qualitäten, wie Achtsamkeit gegenüber uns selbst oder Reflexion über unsere Ziele und Wünsche.
Vielleicht sollten wir ebendiese auch gegenüber unserer Umwelt walten lassen, gerade an solchen Tagen, und uns solidarischer mit anderen zeigen, die eben nicht 338,32 Euro für Schokolade übrighaben (Preis für 227 Schokoweihnachtsmänner à 1,49€). Es braucht vor allem strengere Regulierungen durch die Politik, die zu nachhaltigeren Konsummustern führen, aber auch jede*r einzelne kann etwas beitragen, indem das eigene Konsumverhalten kritisch hinterfragt wird Man wird zu dem Schluss kommen, dass es an einigen Stellen sogar befreien kann, sich zu mäßigen: Drei Klöße tun es zum Beispiel auch. Dann müsste man die Feiertage vielleicht auch nicht mehr abschaffen und ich hätte ruhigere Stunden mit meinem Bauch auf dem Sofa.
Titelbild: Lobo Studio Hamburg
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