Blockierte Wege nach Riesa
Der Beginn des AfD-Parteitags wurde um zwei Stunden verzögert, auch dank motivierter Hallenser, kreativer Busfahrer und hilfsbereiten Anwohner*innen. Eine Reportage über die Blockaden.
Nächtliche Anreise aus Halle
Am frühen Samstagmorgen des 11. Januar ist einiges los am Hauptbahnhof in Halle. Den üblichen Partygänger*innen, die um diese Zeit tröpfchenweise vom Bahnhof und aus den Clubs nach Hause gehen, kommen Grüppchen von warm eingepackten Menschen entgegen. Sie sind heute auf dem Weg nach Riesa, wo um 10 Uhr der Bundesparteitag der AfD beginnen soll. Sie sind so früh aufgestanden, um diesen Parteitag zu verhindern oder doch zumindest zu verzögern.
Um 4:30 Uhr finden sich die Grüppchen am Busbahnhof zu einer mittelgroßen Menge an jungen Menschen zusammen. Die Stimmung ist gut. Man kennt sich. Der Großteil von ihnen studiert wahrscheinlich in Halle. Die Aktivisti stehen schon jetzt in den Kleingruppen zusammen, in denen sie auch später auf den Aktionen und bei der Demo als Bezugsgruppen unterwegs sein werden. Es wird noch etwas verschlafen miteinander geredet oder ein morgendliches Aufwärmprogramm vollzogen. Es ist kalt. Die Gruppen warten auf die fünf Busse, die sie nach Riesa und in die Umgebung bringen sollen, um dort die Delegierten der AfD an der Anfahrt zu hindern. Die Busse, die nach Städten wie Rio, Hanoi oder Sydney benannt sind, kommen ein wenig verspätet an. Alle verteilen sich geordnet auf die Busse und dann geht es los.
Es fühlt sich ein wenig wie eine Schulfahrt an: Viele kennen sich flüchtig vom Sehen und nun sitzt man eben mit seiner Klasse im Bus. Hier finden noch letzte Planungen statt und es werden Aktionspläne ausgeteilt. Kaum jemand hat ein Handy mitgenommen, da vom Aktionsbündnis Widersetzen empfohlen wurde, diese zuhause zu lassen. Daher sind aktuelle Informationen, die zum Beispiel im Aktionsticker vom Widersetzen-Bündnis auf Telegramm selbst bereitgestellt werden, ein rares Gut. Generell ist kaum jemandem klar, was genau heute passieren wird.
Chaotische Ankunft in Oschatz
Die nötige Spontanität wird auch gleich gefordert, als Bernhard der Busfahrer ab Oschatz nicht weiterfahren kann, um die Aktivisti wie geplant nach Riesa zu bringen, da die Zufahrtsstraßen nach Riesa schon blockiert sind. Die Aktivisti hatten schon begonnen, einige Kreuzungen zu besetzen und der Rest der Wege wird von der Polizei versperrt. So stehen zwei Busladungen mit aktionsbereiten Menschen um 6 Uhr morgens in einer verschneiten, unbekannten Landschaft am Rande von Oschatz. Die Gruppe teilt sich auf, da einige Personen probieren wollen, mit der Bahn zur Hauptkundgebung nach Riesa weiterzufahren, und andere lieber bleiben wollen.
Die Verbliebenen schließen sich einer schon existierenden Blockade des blauen Fingers an. Sie blockieren die östliche Ausfahrt aus Oschatz, von wo mehrere Shuttles der AfD nach Riesa fahren sollen. Nachdem anfangs keine Polizei in Sicht ist, kommen nach circa einer halben Stunde etwa 15 Wannen, große Mannschaftswagen der Polizei, mit Blaulicht angefahren. Daraufhin ergeht das Signal zum Hinsetzen und die Blockadegruppe setzt sich auf ihre mitgebrachten Matten und Kissen. Die Stimmung bleibt bis auf weiteres ruhig und es gibt wenige Auseinandersetzungen zwischen der Staatsgewalt und den Demonstrierenden, bis die Blockade am Nachmittag laut Aktionsticker gewaltsam aufgelöst wird.
Lonnewitzer Mikrokosmos
Einen Ort weiter – in Lonnewitz – hat der goldene Finger auf der gleichen Straße die nächste Kreuzung blockiert. Hier gab es nach Aussagen einer Gruppe von vor Ort Demonstrierenden schon einige Auseinandersetzungen mit der Polizei, welche mit der Rechtfertigung eine Rettungsgasse aufzubauen, einige Blockierende an den Rändern wegräumte. Später, als tatsächlich ein Krankenwagen durch muss, wird sich herausstellen, dass die Blockierenden wesentlich schneller eine Rettungsgasse bilden können, indem sie einen Weg durch ihre Mitte öffnen, der im Anschluss gleich wieder geschlossen wird. An diesen Stellen stehen nun Wannen der Polizei. In Lonnewitz sind hauptsächlich Busse aus Leipzig und Thüringen angekommen. Auch einige aus dem Norden stehen hier noch zwischengeparkt und können nicht weiterfahren.
Die Stimmung ist gut, auch wenn die Blockierenden ebenfalls nicht an ihren eigentlichen Bestimmungsort gelangt waren, der noch ein paar Kilometer weiter die Straße hinunter an der Auffahrt zur B 169 liegt. Doch die schon gestartete Blockade hatte die Busse mit den Aktivisti hier gestoppt. Nach einigem hin und her und einigen Tritten einzelner Polizisten gegen einem am Rand sitzenden Blockierer, können die Busse später noch durch die Rettungsgasse an der Blockade Richtung Riesa vorbeifahren. Ansonsten ist Lonnewitz ein Mikrokosmos, in dem nicht viel passiert und der auch aufgrund der fehlenden Handys, Informationen und Fortbewegungsmittel recht abgeschottet ist.
Die Aktivisti arrangieren sich aber gut mit ihrer Situation und freuen sich über die langsam aufgehende Sonne. Besonders zur Kenntnis genommen wird die Initiative von Anwohner*innen, die die Blockierenden mit warmen Kaffee und Tee und einem sauberen Klo versorgen. Generell ist hier die Kälte (neben der AfD) der größte Feind und so freuen sich alle, als zwei Aktivisti ein musikalisches Aufwärmprogramm anleiten. Daneben wird sich gegenseitig solidarisch mit Wärmepflaster, Einlegesohlen und Wärmedecken geholfen. Neben den Anwohner*innen, die die Blockierenden unterstützen, gibt es auch solche, die sich über die Einschränkungen des Verkehrs beschweren oder zur AfD bekennen, wobei es keine Gewalt oder Auseinandersetzungen zwischen den Parteien gibt. Als dann tatsächlich einmal ein Auto mit zwei Delegierten der AfD vor der Blockade im Stau steht, ist die Freude groß. Die sich Widersetzenden skandieren: „Ganz Deutschland hasst die AfD“, woraufhin einer der Umstehenden leise „Ich nicht“ sagt, was aber gänzlich unbeachtet bleibt.
Nach einiger Zeit macht sich langsam Unzufriedenheit breit, da man auch aufgrund der fehlenden Polizeipräsenz das Gefühl hat, am falschen Ort zu sitzen. In der Riesaer Innenstadt hingegen wird im Aktionsticker immer wieder von Polizeigewalt bei der Räumung von Blockaden berichtet.
Die beiden parlamentarischen Beobachter*innen, die auf der Blockade in Lonnewitz bisher geprüft haben, ob sich die Polizei ordnungsgemäß verhält, werden nach Riesa gerufen, um dort die Polizei zu kontrollieren. Sie haben Glück und finden ein Mitglied der Mobilen Beratung aus Thüringen, das sie im Auto in die Stadt mitnehmen kann. Der Bundestagsabgeordnete der Grünen aus einem Landkreis in Sachsen ist als Vertreter der gesetzgebenden Gewalt vor Ort, um die ihr unterstellte ausführende Gewalt zu kontrollieren. Sein Ausweis, sein Erscheinungsbild und ein wenig Glück mit den diensthabenden Beamt*innen hilft der der kleinen Reisegruppe im Auto an mehreren Kontrollpunkten der Polizei vorbei bis an die Grenze von Riesa zu kommen.
Ein anderer parlamentarischer Beobachter der Linken, Nam Duy Nguyen, hat weniger Glück. Laut eigener Aussage und übereinstimmenden Medienberichten wurde er am gleichen Tag von Polizisten ins Gesicht geschlagen, woraufhin er kurz bewusstlos wurde. Zum jetzigen Zeitpunkt wurden Ermittlungen eingeleitet, um die genaueren Hintergründe zu klären.
Ankunft im erfolgreich abgeriegelten Riesa
Nach einer etwa zehnminütigen Fahrt ist das Ende der befahrbaren Straße schon wieder erreicht. Hier blockiert eine Gruppe von mehreren hundert Aktivisti die südliche Einfahrt nach Riesa. Ab hier – etwa eine halbe Stunde zu Fuß zum Tagungsort der AfD und somit zum Zentrum des Protests – ist kein Durchkommen mehr mit dem Auto möglich. Die Blockade ist die größte bisher und sie ist gut ausgerüstet. Es gibt einen großen Wagen mit Lautsprechern und einer kleinen Bühne (Lauti), auf dem Musik läuft und einen roten Bus, aus dem warme Suppe von der lokalen Küfa verteilt wird. Auf dieser Blockade sind Aktivisti aus dem gesamten Bundesgebiet versammelt.
Unter ihnen sind auch mehrere Menschen, die schon in Essen gegen den letzten Bundesparteitag der AfD protestiert hatten. Sie ziehen ein positives Zwischenfazit, da der Parteitag gegen 11:30 Uhr immer noch nicht begonnen hat. In Essen hatte man es trotz wesentlich mehr Menschen nur geschafft, den Beginn des Parteitages um eine halbe Stunde zu verschieben.
Eine ältere Dame aus Freiburg erzählt auf dem Weg zum Parteitag in der WT Energiesystem Arena, sie fände es schade, dass kaum Menschen in ihrem Alter den Weg auf sich genommen hätten, um heute hier zu sein und gegen eine Partei zu protestieren, die der Remigration von Staatsangehörigen einen zentralen Platz in ihrem Programm einräumt. Sie vermutet, dass oft an Zeit, Geld oder Gesundheit fehle, um an solchen Anlässen teilzunehmen. Trotzdem findet sie es erschreckend, da ihre Generation eigentlich genau wüsste zu was eine Partei wie die AfD führen könnte, da sie Traumata aus dem zweiten Weltkrieg und der NS-Zeit noch am eigenen Leib erfahren hätten.
Vor der Arena, in der der Parteitag stattfinden soll, sind eine große Bühne und verschiedene Stände aufgebaut. Die Atmosphäre gleicht hier ein wenig einem Festival.Alle sind warm angezogen und viele Antifa-Flaggen wehen ringsum. Die Demonstrierenden achten nicht besonders auf die Arena, aus der eine Person gerade aus dem Fenster filmt. Sie hören eher Bands und Redebeiträgen auf der Bühne zu und skandieren ab und zu die üblichen Anti-AfD-Parolen.
Andere genießen die Sonne, die sich nun endlich wieder zeigt. Wieder andere versuchen, die verbleibenden Blockaden zu unterstützen. Die Arena ist umkreist von einer Reihe Hamburger Gittern, einer Reihe Wannen von der Polizei und einem undurchsichtigen Bauzaun. Alles ist umringt von Polizist*innen. Doch keiner guckt richtig hin.
Um 12:11 Uhr eröffnet die AfD ihren Parteitag, auf dem sie zum ersten Mal offiziell eine Kanzlerkandidatin ernennen wird. Draußen sind die Demonstrierenden noch bis in die Abendstunden unterwegs, um zu blockieren oder zu versuchen, in den überfüllten Zügen zurück nach Hause zu kommen.
Fotos: Hans Paul Koch
Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.