Ein Preis für den Fleiß?
Kostenloser Zugang zu Bildung ist für viele deutsche Studierende ein nahezu selbstverständliches Privileg. Nun werden Wünsche nach politischer Reform dessen sichtbar.
Anders als beispielsweise in Großbritannien, den USA oder China genießen Studierende in Deutschland eine weitgehend kostenlose Hochschulbildung. Abgesehen vom Semesterbeitrag, der zum Beispiel für Nahverkehr oder vergünstigtes Essen in den Mensen genutzt wird, müssen sie für ihre Bildung keine Ausgaben auf sich aufnehmen.
Dieses Konzept stellte die Wirtschaftsweise Veronika Grimm Ende November vergangenen Jahres infrage. In einem Interview mit Table.Media gab sie bekannt, dass sie die Einführung von Studiengebühren für sinnvoll halte. Mit den dabei generierten Einnahmen, so Grimm, könne man bessere frühkindliche Bildung zu finanzieren. Studiengebühren sollten jedoch kreditfinanziert sein, um sozialer Ungerechtigkeit im Zugang zu Bildung vorzubeugen, skizzierte Grimm die Idee. Das würde bedeuten, dass Studierende einen Kredit zur Zahlung der Gebühren bekämen, den sie nach Abschluss des Studiums abbezahlen müssten.
Kurz darauf griff der CDU-nahe Verbund Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) den Vorschlag Grimms in einer Pressemitteilung auf. „Der RCDS unterstützt die Idee einer umfassenden Bildungsfinanzierung, fordert jedoch, dass Hochschulen dabei nicht zu kurz kommen“, heißt es darin. Mitglieder des RCDS-Bundesverbandes möchten also die potenziellen Einnahmen aus Studiengebühren statt in frühkindliche Bildung in eine bessere Finanzierung von Hochschulen investieren. Dadurch solle die „Qualität und Wettbewerbsfähigkeit“ deutscher Universitäten im internationalen Vergleich gesichert werden.
Allerdings gibt es auch kritische Stimmen, die vor der Einführung von Studiengebühren in Deutschland warnen. Der freie zusammenschluss von student*innenschaften (fzs) erklärte in Reaktion auf den Vorschlag des RCDS, Studierende seien nicht dafür verantwortlich, „die staatliche Mangelwirtschaft zu finanzieren.“ Auch der fzs sieht Reformbedarf an den Hochschulen, der allerdings finanziell mithilfe von Steuern umgesetzt werden könne.
Tatsächlich ist das Konzept von Studiengebühren nicht so fernliegend, wie heutige Studierende es vermuten würden. Seit einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts in 2005 ist es den Bundesländern freigestellt, Hochschulgebühren zu erheben. Von 2005 bis 2014 mussten Studierende je nach Bundesland etwa 500 Euro pro Semester ihres Erststudiums bezahlen. Obwohl die Länder auch heute Gebühren erheben können, findet sich dafür keine politische Mehrheit. Das will der RCDS jetzt ändern.
Soziale Gerechtigkeit durch nachgelagerte Finanzierung?
Sowohl politisch als auch ökonomisch ist umstritten, ob eine (Wieder-)Einführung von Studiengebühren sinnvoll ist. Rüdiger Wink, Professor für Volkswirtschaftslehre an der HTWK Leipzig, bezieht dazu deutlich Stellung. Die Erfahrung zeige, so Wink, dass Studierende aus wirtschaftlich schwächeren Familien das mit Kosten verbundene Studium als zu hohes Risiko ansehen würden. „Man wird automatisch Humankapitalverluste haben und das wird natürlich ein erheblicher volkswirtschaftlicher Verlust sein“, ordnet er ein. In Deutschland habe die Einführung von Bafög einen erheblichen Anstieg der Studierendenzahlen herbeigeführt, der durch zusätzliche Gebühren gefährdet werden würde.
Ein mögliches Problem sieht Wink auch darin, dass Studienzeiten sich verlängern, wenn Studierende während des Studiums noch mehr arbeiten müssen. Neben dem erhöhten finanziellen Aufkommen warten Unternehmen so länger auf ausgebildete Fachkräfte.
Negativen Effekten wie diesem möchte der RCDS durch eine nachgelagertes Finanzierungsmodell entgegenwirken. Der stellvertretende Bundesvorsitzende Kaspar Vonnahme erklärt, Studiengebühren sollen in Abhängigkeit des späteren Einkommens gezahlt werden. „Durch die einkommensabhängige Rückzahlung wird das finanzielle Risiko minimiert. Außerdem könnten begleitende Maßnahmen wie Stipendien oder Freibeträge für einkommensschwache Absolventen soziale Nachteile weiter ausgleichen. Das Ziel ist langfristig, die Qualität der Hochschulen zu sichern, ohne vom Studium abzuschrecken. Hierfür sind auch Informationskampagnen zur Studienfinanzierung an Schulen nötig“, erläutert er.
Wink von der HTWK betrachtet jedoch auch die vereinheitlichte nachgelagerte Rückzahlung von Studiengebühren kritisch. Ungerechtigkeit gäbe es hier, so meint er, im Hinblick auf die unterschiedlich hohen Kosten für verschiedene Studiengänge. Die Kosten für ein Studium der Humanmedizin sind laut statistischem Bundesamt mehr als fünf Mal so hoch, wie die Kosten, die für ein Studium der Rechts-, Wirtschafts- oder Sozialwissenschaften aufgewandt werden. Vonnahme verweist jedoch darauf, dass Absolvent*innen auch in finanzieller Hinsicht später unterschiedlich profitieren würden.
Deutschlands Bildungsinvestitionen liegen unter OECD-Durchschnitt
Insbesondere umstritten in der medialen Debatte sind die Gebühren für ausländische Studierende. Studierende aus dem Nicht-EU-Ausland müssen bereits heute in vielen Bundesländern Abgaben von etwa 1.500 Euro pro Semester zahlen. Für Studierende aus dem EU-Ausland, die heute weitestgehend kostenfrei in Deutschland studieren, fordert der RCDS weitere Gebühren. Diese sollen über die generellen Studiengebühren, die der RCDS für deutsche Studierende einführen möchte, hinausgehen. „Deutschland darf unsere hochqualitative Bildung nicht zum Nulltarif an unsere wirtschaftlichen Mitbewerber und Gegner geben“, lässt sich der Bundesvorsitzende Lukas Honemann in der Pressemitteilung zitieren.
Rüdiger Wink mahnt in diesem Aspekt eine falsche Prioritätensetzung an. Das Problem der Abwanderung von ausländischen Fachkräften sieht er vor allem in der Integrationspolitik. Denn ein Hochschulabschluss in Deutschland, bedeutet nicht immer auch die Möglichkeit, in Deutschland arbeiten zu können. Ausländischen Studierenden werde zum Beispiel ein Mindesteinkommen vorgegeben, von dem ihre spätere Arbeitsgenehmigung abhänge, erklärt Wink.
In der kritischen Betrachtung von Studiengebühren stellt sich die Frage nach alternativen Möglichkeiten, um Bildung zu finanzieren. Laut Wink liegen Deutschlands Ausgaben für Bildung unter dem OECD-Durchschnitt. Die OECD – die internationale Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – zeigt Standards für Industrieländer auf, denen Deutschland nicht entspricht. Wink sieht aufgrund dieses erheblichen Aufholbedarfs „erstmal keine Alternative zu staatlicher Finanzierung.“ Gleichzeitig hält er aber die Verbesserung frühkindlicher Bildung für ein entscheidendes Anliegen. „Wenn man das System erstmal vom Kopf auf die Füße stellen und dann schauen würde, wie man Chancengleichheit schaffen kann, dann ist es durchaus fair, die Hochschulbildung staatlich zu finanzieren. Es ist kein Naturgesetz, dass Kinder aus Akademikerfamilien in erster Linie studieren und Kinder aus ökonomisch schwächeren Familien oft nicht studieren, sondern das liegt im System begründet.“
Interne Konflikte: Wie überzeugt ist der RCDS vom Vorschlag?
Nicht nur aus volkswirtschaftlicher Sicht wird der Vorschlag des RCDS-Bundesverbandes kritisiert. Auch intern scheint der Verband gespalten. So positionierte sich zum Beispiel der Landesverband Sachsen/ Niederschlesien gegen die Einführung allgemeiner Studiengebühren. Laut Zinar Eibach, dem Vorsitzenden des Landesverbandes, sollte das Studium durch Gebühren nicht „künstlich unattraktiver“ gemacht werden. Außerdem würden die hohen Steuer- und Sozialabgaben von Akademiker*innen „der Gesellschaft schon sehr viel zurückgeben“. Zusätzliche Finanzierung von Forschung und Lehre möchte der Landesverband stattdessen unter anderem durch Gebühren für Studierende aus Nicht-EU-Ländern erzielen. Auch weil, so Eibach, man „der Solidargemeinschaft nur schwer vermitteln könne, wenn Know-How und steuermittelfinanzierte Studienplätze direkt ins Ausland gehen.“
Eine Schwächung ihrer Position, sieht der RCDS-Bundesverband durch die starken Meinungsverschiedenheiten nicht, stattdessen eine „lebendige innerverbandliche Diskussion.“
Der Forderung des RCDS-Bundesverbandes, ihre Positionierung zu Studiengebühren im Bundestagswahlprogramm mit aufzunehmen, ist die CDU/CSU nicht nachgekommen. Dort finden sich weder Studiengebühren noch andere Konzepte zum Ausbau von Bildungsfinanzierung. Grund dafür könnte sein, dass diese in die Zuständigkeiten der Bundesländer fällt. In den Landesprogrammen ist jedoch ebenfalls nicht von der geplanten Einführung von Studiengebühren die Rede.
Titelbild: Emma Eckhoff


Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.