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  • Welchen Umgang wollen wir?

    Kolumnist Clelio findet: Wir müssen reden – auch darüber, was die ältere, bürgerliche „Mehrheitsgesellschaft“ will. Denn diese Leute sind aktuell die Richtungsangebenden – und die Richtung ist falsch.

    Ich erinnere mich noch an meine erste Begegnung mit dem Gendern. 2019 bin ich auf einem Treffen der Klimabewegung in Zürich gelandet und habe rasch gemerkt, dass die Leute gewisse Dinge ungewohnt aussprechen und betonen. In der Vorstellungsrunde mussten dann alle zu ihrem Namen auch noch die Pronomen nennen. Ich wusste nicht mal, was Pronomen genau waren, ich hatte schon immer Mühe mit komplizierten Sprachbegriffen. Präfix, Konsonanten, Pronomen, Konjunktion, da wusste ich immer nicht so ganz, was jetzt was ist. Zu meinem Glück war der Kreis groß und ich hatte Zeit, den Leuten zuzuhören, zu realisieren, dass die meisten „Frauen“ sie/ihr sagten und die meisten „Männer“ er/ihm. Also nannte auch ich meine Pronomen und im Verlauf des Abends verstand ich, dass die Leute etwas komisch sprachen, weil sie inklusive Sprache benutzten. Nun sind das Nennen von Pronomen und das Gendern ja nicht das Gleiche. Aber für Menschen, die dem nichts abgewinnen können, gehört das alles in einen Topf: das sogenannte „Gendergaga“.

    Was in Sachsen schon länger gilt, gilt nun seit bald einem Jahr auch in Bayern: Das Gendern in Behörden und Schulen wurde verboten. Das Verbot wurde von Markus Söder in der Regierungserklärung der aktuellen bayrischen Landesregierung mit den Worten angekündigt: „Für Bayern kann ich sagen: Mit uns wird es kein verpflichtendes Gendern geben. Im Gegenteil: wir werden das Gendern in Schule und Verwaltung sogar untersagen“. Wieso so drastisch auf eine Entwicklung in gewissen Teilen der Gesellschaft reagieren? Woher kommt dieser Wunsch nach dem Verbot?

    Wir lassen uns nicht den Mund verbieten, wir verbieten ihn anderen – so die Logik. Bürgerliche Parteien führen Verbote ein, als Reaktion auf ein vermeintlich drohendes Verbotsregime von linker Seite. Das Genderverbot ist in erster Linie Symbolpolitik, hat aber einen Charakter, der, wie Samira El Ouassil im Podcast Piratensender Powerplay wunderbar aufzeigte, einen zentralen Ursprung hat und gefährlich ist: konservative, paternalistische Denkstrukturen. Nach konservativem Denken funktioniert die Welt in Regeln und Verboten. Zwar hat „Links“ nie gefordert, dass alle gendern müssen, nach der rechten Denkstruktur droht das aber unaufhaltsam früher oder später zu kommen. Um selbstbestimmt zu bleiben, musste dieses Verbot also mit den eigenen Regeln gefüllt werden, schnellstmöglich.

    Was wir uns nun fragen müssen: Wie gehen wir mit der aktuellen Situation um? Wie können wir Dinge verändern, Neuerungen herbeiführen, ohne diese Kräfte und Personen aufzuwühlen und zu übertriebenen Reaktionen zu bringen? Darauf kann es nur eine Antwort geben: radikale Toleranz.

    In vielen studentischen und linken Kreisen hat sich über die letzten Jahre das Gendern und Nennen von Pronomen durchgesetzt. Was für viele von uns mittlerweile Alltag ist – inklusive Sprache und individuelles, nicht standardisiertes Ansprechen von Personen – ist jedoch für einen Großteil der Gesellschaft sehr fern. Vielen Menschen geht es, ob sie mit diesen Umgangsformen nun im Alltag tatsächlich Berührung haben oder es nur vom Hörensagen kennen, so, wie es zugegebenermaßen auch mir sehr lange ging: Sie sind überfordert, vielleicht sogar abgeschreckt.

    Ich glaube deshalb, dass wir uns in viel Kulanz üben müssen. Große Toleranz als Reaktion auf autoritäre Intoleranz. Meine Sorge ist: Wenn progressive Kreise von der Mehrheitsgesellschaft zu viel Veränderung in zu kurzer Zeit wünschen, die Leute nicht auf- oder herausgefordert, sondern überfordert werden. Die Gefahr besteht, dass daraus eine komplette Blockade und eine grundsätzliche Antihaltung entsteht, wie sie in Bayern und Sachsen ja bereits den Weg ins Gesetz gefunden hat. Ich glaube, dass diese Entwicklungen viel Zeit benötigen. Denn wenn wir den Prozess nicht mit genug Kulanz und Ruhe vorantreiben, werden sich die Fronten verhärten und ein tolerantes und friedliches Miteinander in weite Ferne rücken.

    Deshalb mein Wunsch: Lasst uns Gemeinsamkeiten suchen und Intersektionalität leben. Im Besonderen mit Menschen, die nicht die gleiche Haltung zu gendergerechter Sprache einnehmen. Auf sie zugehen, anstatt sie mit zu hohen Ansprüchen unwohl fühlen zu lassen mit der Gefahr, dass sie sich zurückziehen oder sogar aktiv gegenarbeiten. Konkreter: Lasst uns selbstbewusst und bestimmt gendergerechte Sprache verwenden, ohne die zu verurteilen oder auszuschliessen, die das nicht tun. Lasst uns den Leuten erklären, wie es geht und warum wir es tun. Und lasst uns akzeptieren, wenn die Leute dann trotzdem anders weiterreden.

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