Aufzeichnungen von Automaten, Bastelstunden und „Unnormalität“
“Aufzeichnungen aus einem weißen Zimmer“ entführt die Zuschauenden in die vier Wände einer psychiatrischen Einrichtung. Hier werden zwei Geschwister als „Automaten“ diagnostiziert.
Mit „Aufzeichnungen aus einem weißen Zimmer“ bringt die Regisseurin Thirza Bruncken ein atmosphärisches und teilweise spukhaftes Stück auf die Bühne der Diskothek im Schauspiel Leipzig. Es geht darum, was es heißt, „unnormal“ zu sein und die Regeln und Abläufe des sozialen Miteinanders nicht zu verstehen. Dafür folgen die Zuschauenden einem Geschwisterpaar in ihrer Zeit im weißen Zimmer einer Psychiatrie.
Schon beim Betreten der Spielstätte fällt auf, dass das Zimmer alles andere als weiß ist. Am Anfang wissen die Augen gar nicht, wo sie zuerst hinschauen sollen auf den Wänden voller Fotos, Zeichnungen und Wortfetzen wie „IST NICHT TOT“. Wer hier nicht in der Mitte sitzt, verpasst die Gestaltung der Seitenwände.
Dann beginnt das Stück. Die von Samuel Sandriesser dargestellte Figur erklärt die Schwierigkeiten des sozialen Miteinanders. Dass man manche Dinge richtig bezeichnet und manche falsch. Dass man immer die Wahrheit sagen muss, außer dann, wenn man lügen sollte. Nach abgeschlossener Erklärung setzt er sich zu den anderen beiden Figuren, gespielt von Vanessa Czapla und Bettina Schmidt, an den Tisch. Das Publikum wird gänzlich ignoriert, während die drei Figuren auf der Bühne in einer ausgiebigen Bastelstunde kleine Dinge aus Zeitschriften ausschneiden.
Irgendwann beginnen sie zu sprechen. Schnell stellt sich heraus, dass es sich bei dem Stück um einen einzigen langen Monolog handelt. Die Darsteller*innen wechseln sich wie nach Belieben mit den Textstellen ab. Die ganze Zeit wird in der Wir-Perspektive gesprochen. Bei diesem „Wir“ handelt es sich um zwei Kinder, Geschwister, die in einer Psychiatrie aufgenommen werden. Einem weißen Zimmer eben. Der Grund dafür ist, dass sie soziale Normen nicht verstehen können. Die Diagnose: Sie sind Automaten. Menschliche Umgänge und Floskeln werden im Text von Anna Behringer so lange auseinandergenommen und hinterfragt, bis man sich selber in der eigenen Welt ganz fremd fühlt.
Das Stück ist gespickt mit Performance-Einheiten und Kostümwechseln, die sich manchmal willkürlich und zehrend anfühlen, manchmal das Publikum zum Schunkeln bringen und der ein oder anderen Person ein kleines „Whohoo!“ entlocken. Die Inszenierung, lässt einen selbst denken, man gehöre ins weiße Zimmer, zwischen Ärzt*innen und Pfleger*innen, anderen Automaten-Kindern und der Freude, an Weihnachten nach Hause zu dürfen. Trotz ihrer sozial unbeholfenen, merkwürdigen Art, entwickelt man Mitgefühl für die Figuren auf der Bühne. Man möchte, dass sie verstanden und angenommen werden, statt weggesperrt. Man möchte sie vor dem weißen Zimmer bewahren, in dem sich ihre Lage nur zuzuspitzen scheint, wenn sie in einem Moment apathisch herumliegen und in einem anderen ihrer Kissenfüllung essen. Teilweise fällt es schwer, den Geschehnissen zuzuschauen.
Zwischen Stückende und Applaus schauen sich Darsteller*innen und Publikum eine Weile lang schweigend an, dann wird ausgiebig geklatscht. „Ich fand es voll gruselig,“ sagt eine Person zwei Sitze neben mir.
Am Schluss fühlt man sich wie aufgewacht aus einem merkwürdigen Traum, der bei manchen wohl noch ein wenig nachhängen wird. Die Stimmung, die das Stück kreiert hat, wird einige, zumindest für die Dauer ihres Heimwegs, so schnell nicht loslassen.
Thirza Bruncken kreiert mit dem Stück einen packenden Abend, der in eine verschwiegene Welt eintauchen lässt. Unterbrochen von Performance-Momenten werden die Zuschauenden leider manchmal auf halber Strecke liegen gelassen, gleichzeitig wird so eine willkommene Pause zwischen intensiven Textpassagen geboten. Trotzdem verfehlt das Stück am Ende, auf einen Punkt zukommen. So bleibt das Gefühl, eine versteckte Bedeutung nicht ganz entschlüsselt zu haben, die noch irgendwo zwischen den Performances, Kostümwechseln und wirren Textstellen steckt. Es gibt keine Auflösung. Die „Automaten“ bleiben im weißen Zimmer, das System bleibt gleich.
Regisseurin: Thirza Bruncken
Eintrittspreis: 17€ Normalpreis, 12€ ermäßigt, 10€ Schüler*innen & Student*innen
Nächste Vorstellungen: 14.03.2025 und 23.03.2025 als Relxes Performance im Schauspiel Leipzig; weitere Termine in Planung
Titelbild und Fotos: Rolf Arnold


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