Aufklären, eingreifen – Kinder schützen
Wie können Lehrkräfte Kindesmissbrauch erkennen und anschließend handeln? Diese Thematik wurde im großen Hörsaal am Campus für Erziehungswissenschaften und Sport am 30. Januar behandelt.
„Schau hin, Hör zu, Frag nach – Kindesmissbrauch als Lehrperson erkennen“ – unter diesem Motto versammelten sich am 30. Januar etwa 500 Studierende und Dozierende. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Studierende der verschiedenen Lehramtsbereiche, aber auch Besucher*innen aus anderen Fächern waren anwesend. Das Projekt wurde von Lehramtsstudent Noah Dejanović mit Unterstützung von Katja Sturm, Fachreferentin des Kinderschutzbundes, ins Leben gerufen. Zudem hilft das Referat für Lehramt der Universität Leipzig bei der Umsetzung. Ziel der zweistündigen Infoveranstaltung war es, insbesondere Lehramtsstudierende für das Erkennen und den Umgang mit Missbrauchsfällen zu sensibilisieren.
Neben Noah Dejanović und Katja Sturm stand dieses Mal auch Kerstin Claus vor den gut gefüllten Reihen des Hörsaals. Sie ist die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (kurz: UBSKM). Zu dritt erklärten die Referierenden, was Kinderschutz an Schulen bedeutet und wie er umgesetzt werden kann. Der Fokus lag dabei auf konkreten Strategien, mit denen die Studierenden später einmal arbeiten können. So wurden verschiedene Merkmale aufgezeigt, die darauf hinweisen könnten, dass ein Kind Missbrauch erfährt. Dazu könnte eine starke Abwehr oder gegenteilig, eine besonders enge Bindung des Kindes an das Lehrpersonal zählen. Auch häufige Müdigkeit, Stagnationen in der Entwicklung oder ein gehäuftes Kranksein können Hinweise geben.
Ein Gefühl von Sicherheit geben
Die Aufgabe der Schule und somit auch der Lehrkraft sollte es sein, den Kindern ein Gefühl der Sicherheit zu geben. Das könnte bereits der Fall sein, da die Kinder in der Schule vor den Täter*innen geschützt sind, sollte sich aber auch im direkten Austausch mit den Kindern zeigen. Hier wäre es wichtig, trotz der emotionalen Belastung rational zu handeln. Die Lehrkräfte sollen keine Antworten aus den Schüler*innen herausfordern und keine voreiligen Versprechen geben. Eine ehrliche, einfühlsame Kommunikation wäre nötig. Ebenso sollen sich Kinder in der Anwesenheit der Lehrkräfte wohl fühlen. Da dies sehr überfordernd sein kann, verweist Claus auf das Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch oder auf das Hilfe-Portal, an die man sich wenden könne, wenn man selbst betroffen ist oder in einem solchen Fall handeln muss. Dort gibt es auch eine Online-Beratung, an die Lehrkräfte und Schüler*innen Hilfe suchen könnten. Um diese Inhalte stärker zu verdeutlichen, wurde etwa mit Filmbeispielen gearbeitet, aber auch mit einem Austausch in kleinen Gruppen.
Die Veranstaltung behandelte nicht nur die individuellen Aufgaben der Lehrkräfte, sondern auch die strukturelle und (schul-)politische Umsetzung des Kinderschutzes. Die Referierenden plädieren für eine präventive Vorgehensweise, also gezielte Strategien, mit denen man verhindern kann, dass es zu Missbrauchssituationen kommt, oder durch die Missbrauch schneller erkannt und beendet werden kann. Ein wichtiger Schritt dafür wäre das konsequente Umsetzen der Schutzkonzepte gegen sexualisierte Gewalt an Schulen. Diese geben Anweisungen, wie man in Situationen handeln soll und welche Strukturen und Hilfsangebote an Schulen vorhanden sein müssen. Zudem fordern sie eine offene Aufklärung und sexuelle Bildung, sodass Kinder besser Grenzen setzen können.
Zuhören, nicht zum Antworten zwingen
Das UBSKM-Amt setzt sich seit Jahren für die Verpflichtung ein, dass jede Schule ein individuelles Schutzkonzept haben muss. Seitdem konnte diese Verpflichtung in neun Bundesländern durchgesetzt werden. Damit Schutzkonzepte wirken, müssen alle Lehrkräfte Grundwissen zum Kinderschutz und zu sexuellem Kindesmissbrauch haben – Themen, die bislang kaum in den Lehramtsstudiengängen verpflichtend verankert sind. Claus regt daher an: Die Studierenden sollen selbst laut werden und ein verpflichtendes Modul fordern, in dem Kinderschutz im Lehramt behandelt wird.
Noah Dejanović berichtet bei diesen Vorträgen nicht nur als Lehramtsstudent, sondern auch als Betroffener. Er selbst erlitt in seiner Kindheit Missbrauch. Nun möchte er mit seinem Projekt Lehramtsstudierenden ein Verhalten beibringen, das er sich als Schüler gewünscht hätte. „Ich hätte mir gewünscht, es wäre jemand auf mich zugekommen und hätte gefragt, was los ist.“, sagt Dejanović. So zeigt er, wie wichtig es ist, dass Lehrkräfte in solchen Situationen die betroffenen Schüler*innen direkt auf ihre Vermutungen ansprechen. Dabei sollen sie die Kinder aber nicht zu Antworten zwingen. Der wichtigste Schritt laut ihm: zuhören.
Für sein „großes und vorbildliches Engagement“ wurde Noah mit der Auszeichnung „Student des Jahres 2025“ des Deutschen Hochschulverbandes und Studierendenwerks geehrt. Doch Noah verfolgt weitere Ziele: Er möchte den Kinderschutz enttabuisieren und eine verpflichtende Behandlung dieses Themas einführen. Zum einen will er regelmäßig weitere Veranstaltungen für „Kinderschutz im Studium“ organisieren. Dabei plant er „Erste-Hilfe-Kurse, die jeweils spezifisch auf einzelne Aspekte eingehen.“ Zum anderen will er Mitglied des Betroffenenrats werden, ein Gremium, das sich bundesweit gegen Kindesmissbrauch einsetzt. Grundsätzlich will er aber eines: mit seinen Vorträgen den Anwesenden „ein Bauchgefühl dafür geben, wie sie in solchen Situationen handeln sollen.“
Einsatz für die Thematisierung in pädagogischen Studiengängen
Kerstin Claus setzt sich in ihrer Rolle als Beauftragte der Bundesregierung bundesweit für den besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt ein. Mit der Kampagne „Schieb die Verantwortung nicht weg!“ klärt sie darüber auf, was Menschen aus dem nahen Umfeld von Kindern tun können, wenn sie sich Sorgen um ein Kind oder Jugendlichen machen. Hierbei seien vor allem Fachkräfte gefordert, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Um solche Qualifikationen zu stärken, sieht Claus verschiedene Möglichkeiten. Eine davon sind Projekte wie das von Noah. Und die flächendeckende Verpflichtung, Module und Veranstaltungen zu sexuellem Kindesmissbrauch im Lehramt und in allen pädagogischen Studiengängen anzubieten. Zudem will sie nicht nur die Schutzkonzepte an Schulen allgemein gültig machen, sondern auch erweitern. „Digitale Schutzkonzepte und Sprechstunden für digitale Beschwerden“ sind zwei weitere Projekte von ihr.
In dem im Anschluss geführten Gesprächen wurde bei der Veranstaltung besonders der praxisnahe Umgang mit dem Thema gelobt. So wurden von anwesenden Studierenden die „konkreten Ansätze“ und „die Aufarbeitung der verschiedenen Themenkomplexe“ positiv betont. Auch hatten viele der Befragten vor, weitere Veranstaltungen zu diesem Thema zu besuchen, wie etwa die „Erste-Hilfe-Kurse“, die Noah umsetzen möchte. Jedoch wurden sich auch noch spezifischere Handlungsanleitungen gewünscht. Der abschließende Appell, sich für eine verpflichtenden Thematisierung von Kinderschutz im Studium einzusetzen, wurde mit lautem Applaus begrüßt.
Titelbild: Laura Rodriguez


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