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  • Eins, Zwei, Polizei

    Kolumnist Dennis hat einen Tag im Rahmen des Referendariats bei der Kriminalpolizei Chemnitz hospitiert. Warum das sein Bild von der Polizei verändert hat, lest ihr hier.

    Chemnitzer Osten, 6:30 Uhr morgens. Die Straßen sind leer, es ist dunkel, meine Kollegin Lara und ich nähern uns dem Polizeirevier zum Dienstantritt. Die nächsten 10 Stunden sind wir Teil der Exekutive. Mir wird erst jetzt klar, dass wir bei der Kripo sind und nicht beim Streifendienst – also nix mit im Auto rumfahren und Gangster aufmischen. Der hiesige Kripo-Dauerdienst fährt nur bei schweren Delikten raus und ist für den Großraum Chemnitz-Erzgebirge-Mittelsachsen zuständig.  

    Im Empfangsraumempfängt uns Bastian (Name von der Redaktion geändert). Er erscheint im Holzfällerhemd und wirkt, als würde er sonst als Sänger einer Post-Hardcore Band auf der Bühne stehen. Heute leitet er uns aber durch das moderne und verwinkelte Bauwerk. Keine pralle Neonbeleuchtung, sondern in die Wand eingelassene Neonelemente, die in regenbogenfarben alternierend und dezent die dunklen Flure beleuchten – man kommt sich vor wie im Flur eines Clubs.  

    Oben in der Abteilung angekommen werden wir zur morgendlichen Kafferunde zu Tisch gebeten: „Zum Samstag starten wir hier schön gemütlich in den Tag“, erklärt man uns. Mit am Tisch – Bastians vier Kollegen. Uns wird erklärt, wie die tägliche Arbeit aussieht, dann werden Anekdoten ausgepackt über abstruse Telefonate der Polizisten mit den Staatsanwälten im Nachtdienst. Nachdem der Kaffee ausgetrunken ist, zeigt uns Bastian die wichtigsten Räume im Haus. Zum einen wäre da der sogenannte ED-Raum [Erkennungsdienst-Raum, Anm. d. Red.], in dem die Tatverdächtigen fotografiert oder gemessen werden. Bastian erklärt erleichtert, dass Fingerabdrücke inzwischen digital aufgenommen werden und man nicht mehr mit Tinte „rumschmanden“ muss. 

    Als nächstes geht es in den Raum der Beweissicherung. Bastian zeigt uns sämtliche Werkzeuge und Mittel zur Spurensicherung. Ein Schrank ist voll mit dem „Sexualdelikt-Kit“, was bei entsprechenden Straftaten zur Spurensicherung nötig ist. Bastian erklärt, dass sich die Opfer oftmals einer Untersuchung verweigern würden und „ihr als zukünftige Staatsanwälte, diese dann gegebenenfalls anordnen müsst“. Auf dem Weg zurück in die Abteilung wird Bastian ernst. Er bittet uns darum, dass, falls wir später als Staatsanwälte arbeiten, „die Entscheidungen auch treffen sollen, für die wir zuständig sind!“. Er erzählt uns, dass sich Staatsanwälte im Nachtdienst oftmals nicht festlegen würden und die Kripo deswegen Leute unnötig festhalten müsse. 

    Zurück in der Abteilung tun wir vor allem erstmal eins – rumsitzen. Die Sonne ist inzwischen aufgegangen und Bastians Kollege Micha erklärt uns, wie Notrufe oder Fallakten am Computer eingehen und strukturiert werden. 

    Dann kommt plötzlich Jan, ein weiterer Kollege, mit bereits gehalftertem Schusseisen herein: Einsatz! Das Adrenalin steigt – drei Schwerverletzte in einer großen Molkerei im Erzgebirge. Konkret haben die drei wohl heiße Lauge aus einer offenen Leitung abbekommen. Es ist daher zu klären, ob es nur ein Unfall war oder jemanden Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. 

    Jan fährt einen grauen VW-Bulli vor, Bastian wirft die Fototasche in das Kofferaumregal, Lara und ich nehmen hinten Platz und es geht wie in einer Call-of-Duty Cutscene in den Einsatz. Der Bulli rollt über die erzgebirgischen Hügel, vorbei an bunten Laubbäumen. Als irgendwann Kühe am Straßenrand auftauchen, ruft Bastian: „Guckt mal, das isser, der Tatverdächtige!“ (weil Tatort Molkerei). 

    Am Haupttor angekommen, lässt uns niemand rein. Erst nach Umrunden des Geländes sehen wir das Auto des Streifendienstes, der an Bastian und Jan abgibt. In dem Moment erscheint Martin, ein gut gelaunter Typ mit Zopf, der sich als „Abteilungsleiter Joghurt und Dessert“ vorstellt, uns über die Umstände informiert und jedem ein obligatorisches Haarnetz aushändigt. 

    Im Inneren des Betriebs befindet sich ein riesiges Geflecht aus Aluröhren, Kabeln und großen Mischbehältern, durch das wir durchgeleitet werden – vorbei an den anwesenden Arbeitern.  

    Schichtleiter Ronny ist der erste, der befragt wird. Sichtlich nervös schildert er in bestem Erzgebirgisch die Geschehnisse und zeigt uns den vermeintlichen Tatort, aus dem man als technischer Laie nicht schlau wird. Bastian hält die Szenerie detailliert mit der Kamera fest, während ich mich mit meinem Arm, der den Zollstock (Erzgebirgisch: „Schmiesche“) hält, auf den Fotos verewige.  

    Der „Abteilungsleiter Joghurt und Dessert“ ist bei seiner Zeugenvernehmung deutlich entspannter und versucht die Situation durch Witze aufzuheitern. Zudem bietet er eine Führung durch die Molkerei an, sodass man sieht „wo der Pudding am Ende rauskommt“, was Bastian aber pflichtbewusst ablehnt.  

    Zurück im Revier wird der Hunger mit ein paar unterwegs beschlagnahmten Dönern gestillt und den Kollegen ausführlich vom Einsatz berichtet. Jan und Bastian tragen dabei noch ihr Haarnetz, was für Heiterkeit sorgt, genauso wie die von nun an zum Running-Gag mutierte Erwähnung des „Abteilungsleiters Joghurt und Dessert“. Für weniger Heiterkeit sorgt bei den Kollegen der Umstand, dass wir keinen Pudding mitgebracht haben. 

    Nach dem Mittag steht auf der Tagesordnung, was im Revier laut Bastian die meiste Zeit beansprucht – Papierkram rund um den zurückliegenden Einsatz. Zum Schluss kommt noch ein Notruf rein – ein älterer Mann wurde mit Verletzungen an der Kehle im Keller gefunden. Der Tod sei aber noch nicht als „endgültig“ bescheinigt worden. „Bis das passiert rücken wir nicht aus“, erklärt Bastians Kollegin Vanessa. 

     

     

    Bild von Max auf Pixabay

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