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  • Schulden, Abschiebungen und Schlafmangel – Hinter den Kulissen des Flughafens Leipzig/Halle

    Der Flughafen Leipzig/Halle wächst seit Jahren, mit ihm die Kritik. luhze-Autorin Laure Péan war vor Ort, um umstrittene Entwicklungen und hitzige Debatten rund um das Logistikdrehkreuz zu beleuchten.

    Am Passagierterminal des Flughafens Leipzig/Halle herrscht Stille. In der großen Eingangshalle haben die Geschäfte – eine Cafeteria, ein Reisebüro und die Besucherinformation für Führungen – zu. Ohne die zwei plaudernden Mitarbeitenden, die an dem einzigen offenen Check-in Schalter stehen, würde man sich fast fragen, ob der Flughafen nicht heute eigentlich geschlossen hat. Zwei Sicherheitsbeauftragte laufen durch den fast 400 Meter langen Flur des Passagierterminals, wo früher wohl einmal Geschäfte waren. Heute stehen fast alle Räume leer. Es gibt keine offene Tür, bis auf die eines Reisebüros, in dem sich einige deutschsprachige Touristen beraten lassen. Am Ende des Flurs ist das Terminal B, wo die Fluggäste für den nächsten Inlandsflug durch die Sicherheitskontrolle laufen werden.

    Uwe Schuhart in seinem Büro, umgeben von seinen Miniaturflugzeugen.

    Uwe Schuhart in seinem Büro, umgeben von seinen Miniaturflugzeugen.

    Von den acht Flügen, die heute von Leipzig/Halle starten werden, fliegen vier innerhalb von Deutschland: Frankfurt, München, Düsseldorf, und wieder Frankfurt. Anscheinend fliegt man zwischen November und Januar nicht viel in den Urlaub. Der Pressesprecher des Flughafens erklärt, dass es hier jeden Winter sehr wenige Passagiere gibt. Der Anteil der Geschäftsreisenden sei seit der Corona-Pandemie stark gesunken. Damit hätte der Flughafen ein Drittel seiner Passagiere verloren, die anderen zwei Drittel seien Urlaubsreisende. Uwe Schuhart arbeitet schon seit 26 Jahren am Flughafen. Das merkt man auch an seiner vertrauten Art auf dem Gelände. Er zögert keine Sekunde, während er über den Flughafen erzählt und das Gelände zeigt. Er habe als Tour-Guide angefangen, und sei dann „als Student hängen geblieben“. Jetzt ist er bei der Pressestelle der Ansprechpartner für Medien und Konzerne.

    Obwohl es wegen des Wetters heute für Besucher*innen geschlossen ist, schlägt Schuhart vor, auf dem Aussichtsdach des Personalgebäudes mit seiner Tour zu beginnen. 1927 entstand auf dem Gelände des aktuellen Flughafens ein Messe-Flugplatz. In den 90er Jahren wollte man dann die neuen Bundesländer mit Infrastruktur ausstatten und den Osten wirtschaftlich attraktiv – und rentabel – machen. So wurde entschieden, den damaligen kleinen Messeflugplatz auszubauen und einen großen Frachtflughafen zu bauen. Der Ort zwischen Sachsen und Sachsen-Anhalt eignete sich perfekt: Ein Blick auf die Karte zeigt, dass er sich in unmittelbarer Nähe des Autobahndrehkreuzes A14/A9 und in der Mitte von Deutschland befindet – eine sehr strategische Stelle für den Transport von Gütern.

    Strategische Stelle für den Transport

    Vom Dach hat man einen sehr guten Überblick über das ganze Flughafengelände: rechts und links die zwei neuen Start- und Landebahnen, seit den 2000er Jahren in Betrieb. Dazwischen liegt der sogenannte „Central Terminal“, oder Terminal B, wo gerade ein Flieger in Ankunft steht. Auf der anderen Seite der A14, die das Gelände durchquert, der im Jahr 2000 errichtete „Tower“. Über das Terminal A, etwas versteckt hinter dem Terminal B, kann der Pressesprecher keine Fragen beantworten: damit habe der Flughafen nichts zu tun. Was auf dem Terminal, das von der Bundesregierung betrieben wird, passiert, ist geheime Sache. Dort arbeiten keine Flughafen-Angestellten, sondern eine Menge Polizist*innen und Mitarbeitende von Sicherheitsbehörden unter größter Geheimhaltung. Eine andere Quelle bringt etwas Licht ins Dunkel: wie über den Telegram-Kanal „Deportation Alarm“ zu verfolgen ist, wird das Terminal im Moment ausschließlich für Rückführungen von Menschen zum Beispiel nach Azerbaijan oder Tunesien genutzt.

    Das DHL-Logistik Center in Leipzig im Hintergrund.

    Das DHL-Logistik Center im Hintergrund

    Was bei dem Blick über das Gelände auffällt, sind die riesigen gelben Hallen des DHL-Logistik Centers und drumherum dutzende gelbe Flugzeuge, die darauf warten, beladen zu werden, um ihre Waren in alle möglichen Länder zu liefern. 2007 hat die Kooperation des Flughafens mit DHL angefangen, wie Schuhart erklärt, und im Sommer 2024 wurde dann eine Verlängerung bis in das Jahr 2053 beschlossen. Der Konzern mietet und betreibt das Gelände mit eigenen Mitarbeitenden, Flugzeugen und Ressourcen, muss aber an die Mitteldeutsche Flughafen AG, die Muttergesellschaft vom Flughafen Leipzig/Halle, Gebühren für Starts und Landungen zahlen. Doch angeblich sind diese Gebühren für DHL relativ niedrig verhandelt worden; dies zeigt Ralf Julke, Autor bei der Leipziger Zeitung, in mehreren Artikeln. Er zeigt auf, dass der Konzern einen großen Nutzen davon zieht, in Leipzig seinen Sitz zu haben, während der Flughafen – letztlich aus öffentlichen Geldern finanziert – seine Investitionen in Infrastrukturen nicht rentabel macht. Die Beiträge von Julke zeigen somit: was da passiert, wäre eine Form von dumping, und diese Kooperation würde auf Kosten von Steuergeldern gehen. Denn während der private Logistikkonzern jedes Jahr mehrere Milliarden Gewinne erwirtschaftet, bleibt die Mitteldeutsche Flughafen AG und seine Tochtergesellschaft, der Flughafen Leipzig/Halle, bei 800 Millionen Verlust seit dem Jahr 2000, ein defizitäres Unternehmen der öffentlichen Hand.

    Auf die Frage, ob diese zweifelhafte Zusammenarbeit mit DHL der Grund sein könnte, weshalb der Flughafen jedes Jahr so viel Verlust macht, antwortet Schuhart, dass mit DHL alles wettbewerbskonform sei. Außerdem sei es nicht die Regel, dass Flughäfen privat betrieben seien, denn sie seien kein rentables Geschäft. Deshalb würden solche Infrastrukturen vom Staat finanziert werden. Und wenn man in ein Projekt investiere, ginge es auch darum, dass Arbeitsplätze geschaffen werden und eine Region damit attraktiv gemacht würde. Insofern seien Verluste eine ganz normale Sache: man frage ja auch nicht nach der Rentabilität einer Bundesstraße.

    „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns den Nachtschlaf klaut!“

    Doch so abwegig ist diese Frage nicht für alle. Seit über 20 Jahren haben sich Bündnisse und Gruppen gebildet, die gegen den Flughafen klagen und kämpfen. Am 16. November sammelten sich Aktivist*innen in Leipzig, um gegen den Flughafen zu demonstrieren. Besonders gegen die für 2026 geplanten Ausbaupläne: denn Steuergelder sollten, so die Aktivist*innen, keine Umweltverschmutzung finanzieren, noch weniger Lärmbelästigung und gesundheitsschädliche Aktivitäten. Und für sie ist klar: „DHL, Das Heißt Lärm!“. Einer der Gründe, argumentieren sie, weshalb DHL besonders gerne in Leipzig angesiedelt ist und das noch lange bleiben möchte ist folgendes: Es ist einer der einzigen Flughäfen Deutschlands, wo kein Nachtflugverbot besteht. Damit Menschen überall auf der Welt neue Kopfhörer, Socken oder Reiskocher bis vor die Tür geliefert bekommen können, fliegen über Lützschena, Schkeuditz und Kabelsketal jede Nacht bis zu 60 Flugzeuge. Kein Wunder, dass Hunderte von Menschen, teilweise mit sichtbaren Augenringen, wütend vor dem Bundesverwaltungsgericht stehen – wo 2007 der Antrag auf ein Nachtflugverbot abgelehnt wurde. Laut skandieren sie: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns den Nachtschlaf klaut!“

    Demo vor dem Bundesverwaltungsgericht, Leipzig.

    Demo vor dem Bundesverwaltungsgericht

    Viele Aspekte des Flughafens stehen in der Kritik: Umweltschäden, Vogelsterben, Lärm, oder finanzielles Defizit. Das Nachtflugverbot bleibt aber eine der Hauptforderungen der Demonstrierenden. Doch darauf einzugehen, scheint seitens des Flughafens nicht zur Debatte zu stehen: Wenn Flugzeuge nicht mehr nachts starten und landen dürfen, „dann heißt es Schluss mit dem Flughafen“, so Schuhhart, und somit auch Schluss mit den ganzen Unternehmen wie Porsche, BMW oder Amazon, die sich in der Nähe angesiedelt haben und damit die ganze Region beschäftigen. Schuhart sitzt in seinem Büro, umgeben von dutzenden Miniatur-Flugzeugen, von denen er von jedem den Namen, das Baujahr und Bauunternehmen, sowie die Lautstärke der Turbinen auswendig kennt. Nein, eine Zukunft ohne Fliegen würde es nicht geben, auch nachts fliegen solle weiterhin erlaubt sein, findet er. So bleibt also denen, die von dem Lärm des Flughafens betroffen sind, nur die Hoffnung, dass in Zukunft leisere und umweltfreundlichere Flugzeuge entwickelt werden, wie das kleine Modell, das Schuhart beim Reden in der Hand hält.

    Mit Flugzeugen kennen sich auch viele Menschen auf der Demonstration aus, wie zum Beispiel ein Demonstrant im Rentenalter, der ganz vorne im Cortège läuft. Die Flieger, erzählt er fast wütend, die über sein Haus fliegen würden, seien keine der letzten Generation. Teilweise seien das „uralte Maschinen“, sogar noch aus DDR-Zeiten. Schon immer lebt er in Lützschena, im Nordwesten von Leipzig, aber für ihn hat das Problem erst nach der Wiedervereinigung angefangen: Über den damaligen Messe-Flugplatz gab es nichts zu klagen. Alles, was danach gekommen sei, bezeichnet er als „Idiotie“. Damit meint er nicht nur den Ausbau und die Lage des Flughafens, sondern auch das Konsumverhalten der Menschen. Während er spricht, hält er mit der linken Hand die eine Seite eines großen Banners, worauf etwas zur „Lützschena-Südabkurvung“ steht: Es ginge darum, erklärt er, dass über Lützschena eine Flugverbotszone aufgehoben werden soll, damit Flüge schneller landen könnten. Das würde aber für das Dorf Lützschena viel mehr Lärm bedeuten. Auf die Frage, ob ein Umzug für ihn schon infrage gekommen sei, antwortet er verhalten. Andere Demonstrierende scheint die Frage sogar zu überraschen: Natürlich habe man schon darüber nachgedacht, aber sollte man nicht da leben dürfen, wo man schon immer gelebt hat, aufgewachsen und zur Schule gegangen ist?

    Kursdorfe Kirche

    Kursdorfer Kirche

    Anders ist es den Anwohner*innen von Kursdorf ergangen, für die eine Reihe politischer Entscheidungen ihnen keine Wahl mehr ließ. 1937 wurde das Autobahn-Drehkreuz gebaut, das das Dorf von zwei Seiten umschloss; 1999 wurde die Nordstartbahn, dann 2002 die ICE-Trasse und 2005 die Südstartbahn gebaut. All das führte dazu, dass Kursdorf komplett umzingelt und damit gänzlich in das Flughafengelände eingeschlossen wurde. „Zu allen Zeiten wurden Dörfer gegründet und wieder verlassen, sei es durch eine Änderung der sozialen oder wirtschaftlichen Verhältnisse, klimatischer Veränderungen oder Unglücksfälle, wie Seuchen oder Kriegsereignisse“, steht auf einer Reihe von Schildern, die die Geschichte Kursdorfs nachzeichnen. Dort kann man auch erfahren: die Einwohner*innenanzahl von 538 im Jahr 1950, wurde nie überstiegen. Seit dem Ausbau des Flughafens wohnten immer weniger Menschen in Kursdorf, bis das Dorf im Jahr 2017 keine Anwohner*innen mehr verzeichnen konnte. Anschließend wurden die Häuser fast alle abgerissen. Heute bleiben vom Ort nur noch das Schild, die Schulstraße und die hübsche kleine Kirche mit Friedhof.

     

     

     

     

    Fotos: Laure Péan

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