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  • Unabhängigkeit! Um welchen Preis?

    Das Auto gilt für viele als Statussymbol und als Schlüssel zur persönlichen Unabhängigkeit. Dabei ist es längst Zeit, das eigene Fahrverhalten zu hinterfragen, findet Kolumnist Eric.

    Es ist ein kalter Februartag und ich möchte zum Geburtstag meiner Oma fahren. Eine Stunde Autofahrt, 19 Uhr ist Beginn. Zuvor habe ich noch die für mich letzte Klausur des Semesters geschrieben, mir raucht der Kopf und ich möchte Zeit sparen. Eine Zugfahrt kommt nicht in Frage, denn ich will den Geburtstag gleich mit einem verlängerten Wochenende bei meinen Eltern verbinden und bin dementsprechend mit Geschenk sowie Gepäck beladen. Kurz nach 17 Uhr bin ich startklar. Zündschlüssel rein, es kann losgehen.  

    Freiheit auf vier Rädern 

    Ich bin ein Dorfkind, darüber habe ich an anderer Stelle schon einmal geschrieben. Und für alle, die in einer Großstadt aufgewachsen sind, hier ein kleiner Reminder: In einem Dorf fährt nicht alle zehn Minuten eine Tram. Es gibt nicht mehrere Einkaufzentren. Die coolen Events kommen in der Regel nicht zu einem selbst, sondern man muss oft eine längere Reise auf sich nehmen. Kurzum: Man lebt in einer reduzierten Friedlichkeit, die manchmal frustrierend sein kann. Das Dorfleben möchte ich nicht missen, zumal ich selbst in einer vergleichsweise privilegierten Situation aufgewachsen bin (mein Dorf hat sogar einen Bahnhof!). Der Punkt, auf den ich hinauswill: Das Auto gehört in der Regel zum guten Ton eines Dorfmenschen. Es ist der Schlüssel für die Tür in eine andere Welt.  

    Als ich die Volljährigkeit erreichte, wurde ich dementsprechend stolzer Besitzer eines eigenen Wagens. Meinen Führerschein hatte ich längst in der Tasche und durch begleitetes Fahren nach der Fahrschule ein wenig Erfahrung im Straßenverkehr gesammelt. Wenn ich auch durch meine erste Praxisprüfung gerasselt bin – der Prüfer hatte anscheinend schlechte Laune – sagt meine Familie immer, ich sei ein ganz passabler Autofahrer. Für die Formel 1 wäre ich zwar nicht gemacht, doch auch ohne große Geschwindigkeit gibt mein leuchtend-roter Hyundai Getz mir ein wenig das Gefühl von Ferrari. Hinzu kommen ein paar Details, die dem nerdigen Charakter des Autobesitzers entsprechen: Der Rahmen des Autoschildes trägt die schlichte Beschriftung „Hogwarts Express“ und auch die Zahlenkombination 934 auf dem Schild selbst ist als eine Referenz auf die Welt der Zauberer und Hexen zu verstehen.  

    Ja, mein erstes eigenes Auto hat mir erstmals das Gefühl gegeben, wirklich erwachsen zu sein. Nun war ich nicht mehr auf den Schulbus oder das Elterntaxi angewiesen. Ich konnte spontan selbst einen Großeinkauf im Supermarkt machen oder kurzfristige Termine wahrnehmen. Zu Fußball-Auswärtsspielen konnte ich selbst fahren, ohne darauf zu hoffen, dass mich irgendwer mitnimmt. 

    Ich nahm also die Ausfahrt Richtung Freiheit. Auf vier Rädern würde ich die Welt erobern! 

    Motorisierte Unfreiheit  

    Portraitfoto des Autors. Im Hintergrund das Museum aan de Stroom in Belgien.

    Ein Selfie mit meinem Auto habe ich noch nicht gemacht.

    Und dann kam das Studium. Mein Lebensmittelpunkt verschob sich nach Leipzig und in meinen Augen gibt es kaum etwas Unsinnigeres, als in der Großstadt regelmäßig mit dem Auto zu fahren. Man ist meistens nicht nur langsamer und auf Parkplätze angewiesen, ich glaube auch psychisch würde ich das auf Dauer nicht überleben: Jedenfalls kommt es mir so vor, als ob es keine gestressteren Menschen gibt, als Autofahrende im städtischen Berufsverkehr.  

    Aus vier Rädern wurden dann schnell zwei und ich, ohnehin sehr bewegungsaffin, erledige die meisten Wege per Rad. Mein Auto? Ist die Ruhe selbst und wartet auf dem Seitenstreifen vor meiner Wohnungstür sehnsüchtig auf seine nächste Fahrt. Im Schnitt fahre ich vielleicht zweimal im Monat mit meinem Auto. Manchmal mehr, manchmal auch gar nicht.  

    Hinzu kommt ein Umstand, den ich vorher nicht bedacht habe: Die durch das Auto gewonnene Unabhängigkeit gilt nicht uneingeschränkt. Ja, einige Dinge kann ein Auto verkomplizieren – jedenfalls für den Fahrer persönlich. Damit meine ich nicht nur, dass man regelmäßig darauf achten muss, nicht versehentlich in einer Park- und Halteverbotszone zu stehen, die vor ein paar Tagen noch nicht existent war. Oder das schon beinah zwanghafte Verlangen, regelmäßig nach dem kleinen Flitzer zu schauen, nur um sich seiner Unversehrtheit zu versichern.  

    Nein, ich spreche von der Trittbrettfahrerproblematik der persönlichen Mobilität. Der Umzug in eine Großstadt bedingt, dass man immer mehr Leute trifft, die eben nie eine Fahrerlaubnis gemacht haben und es auch nie vorhaben. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass ich schnell mal eine der wenigen Personen im Bekanntenkreis bin, die auch auf vier Rädern mobil ist. Wenn also beispielsweise das nächste luhze-Seminarwochenende ansteht, verteilen sich die Aufgaben von selbst. Sei es der Transport oder der Einkauf:  This is the drivers‘ job! Als Autofahrer erarbeitet man sich schnell den inoffiziellen Nebenjob als Taxifahrer auf Abruf. Sich entspannt zurücklehnen und die anderen die Arbeit machen lassen: Fehlanzeige.  

    Über den (Un-)Sinn des Autofahrens  

    Um mich nicht falsch zu verstehen: Es ist ein Privileg, selbst Auto fahren zu können und ein noch größeres, eines zu besitzen. Doch damit geht auch eine gewisse Verantwortung einher. Diese Verantwortung bezieht sich nicht nur auf die Mitmenschen, sondern auch auf das Gefährt selbst. Wer dachte, ein Auto fährt von selbst, ohne dass dieses regelmäßiger Wartungen bedarf, hat sich getäuscht. Klar, viele werden jetzt müde lachen. Doch was technisches Interesse angeht, bin ich nun mal eine wandelnde Vollkatastrophe mit zwei linken Händen. Fahren ja, doch mit allem anderen braucht ihr mich nicht belästigen. Ich weiß, wo ich den Zündschlüssel reinstecken muss und auch, wie ich die Tankklappe aufbekomme. Bei anderen Dingen rufe ich lieber den Handwerker meines Vertrauens an: meinen Vater.  

    Vor jeder Autofahrt bete ich, dass mir nicht irgendein Schlamassel passiert. Eine Reifenpanne auf der Autobahn? Mein schlimmster Albtraum.  

    Abgesehen davon kann man den Sinn und Unsinn des Autofahrens stark hinterfragen – vor allem als Wenigfahrer, wie ich es inzwischen bin. Wie sinnvoll ist es, dass ich für die zwei, drei Male im Monat, in denen ich mich auf vier Rädern durch die Gegend bewege, wertvollen Parkraum in der Stadt blockiere. Und überhaupt: Wie sinnvoll ist es, für den Transport meines bescheidenen Körpergewichts so viel Energie zu verbrauchen. Der Zweck besteht einzig darin, meine Bequemlichkeit in manchen Lebenssituationen zu bewahren und mir die Option, nicht auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen zu sein, zu erhalten.  

    Deshalb verstehe ich jeden Menschen, der erst gar keine Fahrerlaubnis macht. Bei den Kosten ist das auch nicht zu verdenken. Und ich verstehe auch jede Person, die für eine autounfreundlichere Stadt plädiert. Ich gehöre selbst dazu und zeige da als erstes auf mich. In der ganzen Klimafrage geht es nicht um die Menschen, die täglich auf das Auto angewiesen sind, sondern um diejenigen, die auch ohne dieses könnten.  

    Startklar?  

    In meinen Augen gehört Konzepten wie Carsharing die Zukunft. Das gilt vor allem für Großstädte. So verzeichnete der mitteldeutsche Anbieter „teilAuto“ mit einem Kundenwachstum von über 14 Prozent jüngst eine überdurchschnittliche Nachfrage gegenüber dem Branchenwert von 8,1 Prozent. Das stellt mich wiederum vor die Frage: Wird mein geliebter „Hogwarts Express“ auch mein letzter eigener Wagen sein?  

    Möglich, sogar eher wahrscheinlich. Am Ende kommt es immer darauf an, wie die aktuelle Lebenssituation aussieht. Habe ich eine Familie? Lebe ich in der Stadt oder auf dem Land? Das alles muss berücksichtigt werden und man sollte nicht mit dem moralischen Zeigefinger auf Leute zeigen, die sich für ein eigenes Auto entscheiden, einfach weil es die Lebenssituation nicht anders hergibt. Der Appell geht eher an Leute wie mich.  

    Zumal: Ein Auto ist nie eine Garantie, dass man auch rechtzeitig ans Ziel kommt. Den Geburtstag meine Oma habe ich leider verpasst: Die kalten Nächte mit Minusgraden sind mir gedanklich glatt untergegangen, was wiederum in Kombination mit einem Quasi-Dauerstillstand des Autos nie eine gute Kombination ist. Meine technische Expertise habe ich bereits erwähnt.  

    Shit happens, sei es mit oder ohne Auto. Völlige Unabhängigkeit ist eine Illusion – egal, welchen Preis man zahlt.  

     

     

    Fotos: privat

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