„Darf ich darüber überhaupt schreiben?“
Im Interview spricht Martina Hefter, Gewinnerin des Deutschen Buchpreises 2024 über die Hintergründe ihres Romans und das Altern im Literaturbetrieb.
Im Oktober 2024 hat die Leipziger Autorin Martina Hefter mit ihrem Roman „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ den Deutschen Buchpreis gewonnen. Erzählt wird die Geschichte von Juno, einer Leipziger Künstlerin, die tagsüber ihren kranken Mann Jupiter pflegt. Nachts, wenn Juno nicht schlafen kann, chattet sie wissentlich mit Love Scammern. Diese spielen Frauen unter falschen Profilen Liebe vor, um an ihr Geld zu kommen. Aber nicht nur Benu, ein Love Scammer aus Nigeria, mit dem Juno über Wochen eine intensive Verbindung aufbaut, ist unehrlich über seine Identität: auch Juno belügt den Love Scammer. Im Interview mit luhze-Redakteurin Antonia Wengner spricht Martina Hefter über ihren Rechercheprozess zum Roman, über die Schwierigkeiten als weiße Person über Rassismus zu schreiben und über ihr Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.
luhze: Du bist Preisträgerin des Deutschen Buchpreises 2024. Was verändert sich, wenn man diesen renommierten Preis gewinnt?
Martina Hefter: Ich bekomme seitdem sehr viel Aufmerksamkeit, vor allem viele Einladungen zu Lesungen und auch zu Interviews. Ich führe auch viele Gespräche für das Radio und für Zeitungen. Man wird eben mehr wahrgenommen. Manchmal erkennen mich die Leute sogar auf der Straße.
In der Danksagung Ihres Romans erwähnen Sie Parallelen zwischen Ihrem Leben und dem Leben Ihrer Protagonistin. Gleichzeitig wird Ihr Buch gerade überall besprochen. Wie verletzlich macht man sich da als Autorin?
Es ist so, dass der Roman eben nicht komplett autobiografisch ist. Also es gibt einen autobiografischen Hintergrund und den darf auch jeder wissen. Mein Mann hat wirklich Multiple Sklerose und sitzt im Rollstuhl. In unserem Umfeld weiß das auch jeder, weil mein Mann ebenfalls Schriftsteller ist und einen Roman über seine Krankheit geschrieben hat. Und sonst bin ich, glaube ich, nicht so privat geworden. Vieles, was in dem Buch steht, ist erfunden. Ich glaube, das Wichtigste ist, dass das alles Sachen sind, die ich auch jederzeit so preisgeben könnte. Das war immer meine Leitlinie beim Schreiben. Es gab Grenzen, die ich nicht überschritten habe.
Wie intensiv haben Sie im Vorfeld über das Love Scamming recherchiert?
Zum einen habe ich wirklich Gespräche mit Love Scammern geführt. Mit einem habe ich mich, ähnlich wie im Roman, über Monate unterhalten. Ein anderer hat mir einiges über das Love Scamming erzählt. Und dann habe ich einfach viel im Internet recherchiert. Da gibt es Dokus – mehr oder weniger seriöse. Aber es gibt auch viele Statistiken, zum Beispiel beim Landes- und Bundeskriminalamt und sogar auf den Seiten der Uno, weil es eine Form von organisierter Kriminalität ist. Das ist ja einfach ein gesellschaftliches Problem und hat viel mit Menschenrechten zu tun.
Viele Love Scammer agieren aus westafrikanischen Ländern, so auch Benu, der Love Scammer im Roman, der in Nigeria lebt. Welche Unsicherheiten gibt es, wenn man als weiße Person über Themen wie Rassismus schreibt?
Da gibt es große Unsicherheiten! Ich hatte erst mal generell Angst, mich an das Thema zu wagen. Ich wusste irgendwie, dass ich unbedingt darüber schreiben möchte, weil mir das alles sehr bedeutsam vorkam. Aber ich habe mich auch immer wieder gefragt: Darf ich darüber überhaupt schreiben?
Dann hat mich Patrice Lipeb, der auch das Sensitivity-Reading gemacht hat, darin bestärkt, dass es gut ist, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Er hat dann gleich in vielerlei Hinsicht auf den Roman geguckt, ob mir nicht irgendwas unterläuft, ob ich was Wichtiges vergesse und so weiter. Man merkt das selbst nicht immer. Man meint, man ist vollkommen korrekt und offen und wachsam, aber manchmal ist man das eben doch nicht. Ohne das Sensitivity-Reading hätte ich mich garnicht an diese Themen getraut.
Wie läuft das Sensitivity-Reading konkret ab?
Ich habe Patrice Textauszüge geschickt und dann haben wir sie immer wieder diskutiert. Am Sensitivity-Reading wird ja oft kritisiert, dass das eine Art Sprachbereinigung sei, das war bei uns aber gar nicht so.
Ich gebe mal ein Beispiel: Juno hat zu Nigeria recherchiert, das hat auch meinem eigenen Forschungsprozess entsprochen. Bei Nigeria ist ihr eigentlich zuerst nur das Stichwort Boko Haram eingefallen. Und da meinte Patrice, ob ich nicht noch ein bisschen mehr dazu schreiben oder Juno eine Recherche machen lassen will. Weil man, wenn man an Nigeria denkt, eben schnell Boko Haram aufruft und das war‘s. Patrice hat vorgeschlagen, dass man mal schauen könnte, was damals eigentlich genau passiert ist. Und was ist daraus geworden? Wir hören gar nichts mehr davon – Warum eigentlich? Dieser Vorschlag von Patrice war sehr gut. Ich habe durch das Sensitivity-Reading also nichts weggenommen, sondern etwas hinzugefügt.
Ihr Buch bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Kolonialismus und dem Love Scamming. Die Frage danach, wer hier eigentlich wen ausbeutet, durchzieht den Roman. Haben Sie eine Antwort gefunden?
Nein, eigentlich nicht. Einige Annahmen, die ich vor dem Schreiben hatte, haben sich sogar ein bisschen zementiert. Antworten konnte ich nur in ganz geringem Umfang finden. Ich habe auch keine Lösungen gefunden, aber ich glaube, das war nicht mein Ansatz. Das Buch war vor allem dazu gedacht, Dinge aufzuzeigen und Fragen zu stellen. Juno, diese Romanheldin, kann auf keinen Fall die Welt retten.
Ihre Figuren sind alle nach der Mythologie benannt. Wieso?
Ich habe vor dem Roman viel Lyrik geschrieben. Wenn man dann wieder einen Roman schreibt, erscheint einem alles so furchtbar trivial. Ganz normale Namen haben für mich dann nicht gepasst. Ich wusste nur, dass ich die Heldin Juno nennen will, das passte auf einmal so gut zu dieser Frau. Da habe ich noch gar nicht in Richtung Götterwelt gedacht. Junos Mann Jupiter zu nennen, lag dann nahe. Es war sehr gut, diese Namen zu nehmen, weil es mir als Autorin noch mehr Distanz zu meinen Figuren gegeben hat. In ihren Rollen sind Juno und Jupiter eigentlich leicht vertauscht. In der Mythologie geht Jupiter raus in die Welt. In meinem Roman ist Jupiter der, der zuhause bleibt und Juno die, die rausgeht. Das fand ich interessant. Naja, und manchmal ist der Alltag für Juno in ihrem Erleben doch sehr dramatisch und in dieser Hinsicht haben diese großen Namen auch gut gepasst.
Immer wieder findet im Roman eine Auseinandersetzung mit dem Altern statt. Wie erleben Sie das Altern als Frau, die in der Literaturbranche tätig ist?
Das ist immer noch mit großen Benachteiligungen verbunden. Als Frau hat man immer diese Angst, nicht mehr attraktiv oder sichtbar zu sein. Das ist ein großer Druck. Obwohl ich dem nie viel Bedeutung zugemessen habe, steckt das trotzdem in mir. In der Literatur verkaufen sich Bücher von älteren Frauen, wenn man nicht gerade superberühmt ist, wirklich viel schlechter. Wenn Frauen, die älter als 50 sind, ihr erstes Buch rausbringen wollen, ist das fast aussichtslos. Das finde ich hart.
Sie haben am Deutschen Literaturinstitut hier in Leipzig studiert. Welche Rolle spielt dieses Studium in Ihrer künstlerischen Entwicklung?
Das war für mich sehr wichtig. Ich hatte vorher eigentlich nicht den Plan Schriftstellerin zu werden. Erst kurz vor meiner Bewerbung habe ich mir gedacht, dass das interessant klingt. Ich glaube aber, dass bei mir versteckt der Wunsch da war, Lyrik und Romane zu schreiben. Das hat sich dann im Laufe meines Studiums gefestigt. Im Austausch mit den anderen Studierenden ging es viel darum zu schauen: Wie schreiben die Leute und will ich auch so schreiben? Ich habe vor allem gelernt, was mir nicht gut gefällt.
Durch das Studium konnte ich auch die Strukturen des Literaturbetriebes kennenlernen. Ich habe dann schon früh in meinem Studium meinen ersten Roman veröffentlicht. Dafür musste ich mir für die Diplomarbeit wirklich etwas aus den Fingern saugen, weil ich das Buch nicht mehr nehmen durfte. Das war echt blöd, also (lacht) da ist mir erst mal gar nichts mehr eingefallen.
Juno lässt sich im Roman viele Tattoos stechen. Auch Sie haben Einige. Ist schon ein Neues in Planung?
Ja. Es wird ein leicht abstraktes Wolkentattoo, weil ich Wolken so schön finde und sie in einem langen Gedicht von mir eine sehr große Rolle spielen. Ich habe das als Flash gesehen und wusste sofort, das muss es sein! Ich habe sogar schon einen Termin.
Titelbild: Maximilian Gödecke


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