Nordischer Frühling
Nicht nur Nordic Noir: Auf der diesjährigen Buchmesse gab das Gastland Norwegen einen Einblick in seine Literaturwelt.
Am Ende wirkte Karl Ove Knausgård doch ein wenig überrascht, als er kurzerhand von Jan Åge Fjørtoft ein Eintracht Frankfurt-Trikot überreicht bekam. Erst stand er noch vor einer großen Menschentraube und dem Literaturkritiker Thomas Böhm Rede und Antwort, dann fand er sich Schulter an Schulter mit dem ehemaligen Fußballprofi vor den Kameras wieder. Es ist eine Szene der Eröffnung von Norwegens Gastlandstand bei der diesjährigen Leipziger Buchmesse, die im Gedächtnis bleibt. Am 27. März wurde der Anstoß für vier Tage gebildet, in denen die Besucher*innen fast 50 norwegische Autor*innen in Leipzig treffen, sich Bücher signieren lassen und bei den rund 75 Veranstaltungen einen Einblick in die norwegische Literatur gewinnen konnten.
Staatliche Förderung
Unter dem Motto „Traum im Frühling“ präsentierte sich das Land aus Europas Norden dem deutschen Publikum. Schon 2019 war Norwegen unter dem Slogan auf der Frankfurter Buchmesse Ehrengast. Und der Traum ist nicht ausgeträumt: In den vergangenen Jahren hat die norwegische Literatur international an immer größerer Bedeutung gewonnen.
Seit 2004 hat die Organisation Norwegian Literature Abroad (NORLA) zur Übersetzung von mehr als 8000 norwegischen Büchern in 73 Sprachen beigetragen.
Das die norwegische Literaturszene floriert, liegt auch an einer umfassenden Förderung. Über ein staatlich finanziertes Ankaufssystem werden jedes Jahr zwischen 550 und 1500 Exemplare von etwa 600 neuen Titeln gekauft und an öffentliche Bibliotheken im ganzen Land verteilt. Damit soll die Veröffentlichung neuer norwegischer Bücher gewährleistet und den Autor*innen bessere Einnahmen gesichert werden. Zudem werden die Bücher in Norwegen von der Mehrwertsteuer befreit, womit die Buchpreise erschwinglich bleiben. Über ein Buchgesetz aus dem Jahr 2024 kann zudem der Preis eines Buches erst 12 Monate nach seiner Veröffentlichung geändert werden. Dadurch können die Leser*innen ein Buch überall im Land zum gleichen Preis kaufen und die Autor*innen sowie Verleger*innen die Einnahmen besser planen. Schließlich ermöglichen Tarifverträge zwischen dem norwegischen Verleger*innenverband und den Organisationen für Autor*innen, Illustrator*innen und Übersetzer*innen eine gerechtere Behandlung der Rechteinhaber*innen.
Prominenz ohne Adel
Bei der Eröffnung des Gastlandstands bildete sich dementsprechend auch eine größere Menschenmasse. Einige Schaulustige werden eventuell auch gehofft haben, einen Blick auf die Kronprinzessin Mette-Marit zu erspähen. Diese hatte jedoch im Vorfeld ihren Besuch aus gesundheitlichen Gründen abgesagt. An Prominenz fehlte es bei der Eröffnungsfeier dennoch nicht. Mit Karl Ove Knausgård und Maja Lunde weihten zwei der bekanntesten norwegischen Autor*innen den Gastlandstand mit ein. In einem Gespräch von Literaturkritiker Thomas Böhm erhielten die Anwesenden einen Einblick in die schriftstellerische Arbeit der beiden Schriftsteller*innen und in ihre aktuellen Werke.
Keiner stirbt, keiner wird geboren, die Uhren bleiben stehen: In ihrem neuen Roman „Für immer“ widmet sich Maja Lunde dem Thema Zeit. Auf die Frage, was man gegen den Zeitmangel, der einem im Alltag auch mal vom Lesen abhält, machen kann, antwortet sie trocken: „Wir müssen Mark Zuckerberg aus unseren Taschen verbannen: Das Internet ist extrem zeitverschwendend, und wir befinden uns in einer Zeit, in der wir wirklich schauen müssen, wie Technologie uns kontrolliert.“ Lunde sorgte mit ihrem Roman „Die Geschichte der Bienen“ international für Aufsehen. Das Buch stand monatelang auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Es folgten „Die Geschichte des Wassers“, „Die Letzten ihrer Art“ und „Der Traum von einem Baum“, mit dem sie 2023 ihr literarisches Klimaquartett abschloss.

Die Eröffnung des Gastlandstand, unter anderem mit Karl Ove Knausgård, Maja Lunde sowie die norwegische Kultur- und Gleichstellungsministerin Lubna Jaffery (von links).
Knausgård ist unter anderem für seine sechsteiligen Reihe „Min kamp – Mein Kampf“ bekannt, in der er intime Einblicke in sein Leben gewährt und dabei universelle Themen wie Identität, Familie und das Erwachsenwerden behandelt. Diese ehrliche und oft schonungslose Reflexion hat viele deutsche Leser berührt und zu Diskussionen angeregt. Auf der Buchmesse stellte er seinen neuen Roman „Die Schule der Nacht“ vor, der vierte Band seiner „Morgensternreihe“. In dem Buch schreibt er über den fiktiven Norweger Kristian Hadeland, ein empathieloser Fotograf, für den vor allem er selbst und seine Kunst wichtig sind. „Ich wollte darüber schreiben, wie schlechte Menschen gute Dinge machen. Wir müssen uns mit Ambiguitäten beschäftigen“, sagt Knausgård über seinen Roman. Für ihn bedeute Lesen, die Welt aus verschiedenen Perspektiven wahrnehmen zu lernen: „Du lernst, wie Leute, mit deren Position du vielleicht nicht einverstanden bist, denken. Das ist die Macht, die Literatur hat.“
Von dieser Macht der Literatur scheinen weiterhin viele Menschen überzeugt zu sein. Etwa 296.000 Besucher*innen, und damit 13.000 mehr als im letzten Jahr, haben sich auf Entdeckungsreise durch die Leipziger Buchmesse begeben. Gewiss werden davon einige einen Abstecher in die Welt der norwegischen Literatur gemacht haben.
Fotos: Eric Binnebößel


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