„In der Debatte fehlt die zeitliche Einordnung“
Mitten im letzten Schuljahr für den Bundestag kandidieren? Warum das geht, erklärt Volt-Direktkandidat Terence Koch in der aktuelle Printausgabe.
Am 23. Februar wurde der neue Bundestag gewählt. Nach Angaben der Bundeswahlleiterin lag der Alterschnitt der 4.506 Wahlbewerber*innen bei rund 45 Jahren. Einer der jüngsten Direktkandidaten war Terence Koch. Er ist 18 Jahre alt und macht in diesem Jahr sein Abitur. Für die Partei Volt trat er im Wahlkreis Dresden 1 an, rund 1,9 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihm dort ihre Erststimme. Drei Wochen nach der Wahl sprach er mit luhze-Redakteur Eric Binnebößel über seine Politisierung, den neugewählten Bundestag und über die Dringlichkeit von konsequenten Klimaschutzmaßnahmen.
luhze: Wie kommt man auf die Idee, mitten im letzten Schuljahr für den Bundestag zu kandidieren?
Koch: Grundsätzlich war ja die Idee, wenn ich für den Bundestag kandidiere, das entspannt im September machen zu können. Dann wäre ich mit der Schule durch und sowieso gerade in einer Übergangsphase. Dann gab es die vorgezogenen Neuwahlen. Trotzdem entschied ich mich zu kandidieren, weil es momentan eine riesige Repräsentationslücke der Jugend gibt. Wir brauchen im Bundestag Menschen, die Politik für junge Menschen machen – und das geht eben am besten mit ihnen zusammen.
Wie geht es für dich nach dem Abitur weiter?
Nach dem Abitur möchte ich mir etwas Zeit nehmen, um neue Erfahrungen zu sammeln. Ich plane, zu reisen, zu arbeiten und mich bei verschiedenen NGOs zu engagieren. Ich weiß tatsächlich noch nicht, wohin mein Weg danach führt. Wahrscheinlich werde ich studieren. Gleichzeitig will ich mich weiter bei Volt einbringen. Das Praktische bei Volt ist ja zum einen, dass wir sehr viele Sachen digital erledigen, und zum anderen, dass wir in über 31 europäischen Ländern vertreten sind. Das heißt, selbst wenn ich in die Niederlande oder nach Frankreich reise, kann ich andere „Voltis“ treffen und mich austauschen.
Wann wurdest du eigentlich politisiert?
Der Drang, in die Politik zu gehen, kam mit dem Ende der Coronakrise. Wir leben in Zeiten multipler Krisen. Dadurch hat meine Generation generell eine unglaubliche Politisierung erfahren, denn es wird immer klarer, dass wir jetzt so dringend Antworten auf die großen Probleme unserer Zeit finden müssen. Diese Probleme wegzuschieben, funktioniert nicht mehr, das merken wir jeden Tag. Für mich war es daher der logische Schritt, in eine Partei zu gehen, da ich gerne etwas verändern möchte – und zwar mit einer positiven Vision. Da passte Volt am besten. Wir sehen gerade, wie wichtig ein geeintes Europa ist. Wir stehen als einzige paneuropäische Partei wie kaum eine andere Partei dafür.
Wurden aus deiner Sicht die richtigen Schlussfolgerungen aus der Coronapandemie gezogen?
Einen wirklich starken Fortschritt, gerade in puncto Digitalisierung, hat man in meinen Augen noch nicht erreicht. Es lässt sich nicht sagen, dass Deutschland hier eine Vorreiterrolle übernommen hat. Gleichzeitig hat man es nicht geschafft, die psychische Belastung, die super viele Kinder erlebt haben, richtig aufzugreifen. Im Gegenteil: Vereinzelte Fortschritte werden hier wieder zurückgedreht. In Dresden werden beispielsweise gerade die Mittel in der Schulsozialarbeit stark gekürzt. Man muss den Bildungsföderalismus abschaffen, um dann wirklich ein einheitliches System zu schaffen, wo Bildung zu einer Top-Priorität wird. Es müssen Reformen angestoßen werden, die nachhaltig und in einem großen Rahmen geschehen, nicht immer nur der Tropfen auf dem heißen Stein sind. Das Bildungssystem muss grundsätzlich umgedacht werden.
Ihr habt es nicht in den Bundestag geschafft. Wie bewertest du euer Ergebnis?
Wir konnten das Ergebnis von der Bundestagswahl 2021 fast verdoppeln, das ist erstmal ein Erfolg (von 0,4 zu 0,7 Prozent der Zweitstimmen, Anm. d. Red.). Wir haben auch an Sichtbarkeit gewonnen. Über uns wurde viel gesprochen und wir haben viele Menschen erreicht. Gleichzeitig muss man jedoch sagen, dass wir als Volt nicht an das starke EU-Wahlergebnis anknüpfen konnten und generell einen sehr starken Gegenwind erfahren haben. Die Debatte vor der Bundestagswahl war stark durch dieses taktische Wählen geprägt. Das erkennt man am Vergleich der niedrigeren Zweitstimmenergebnisse zu den durchaus bemerkenswerten Erststimmenergebnissen in meinem Wahlkreis. Das zeigt, wie viele Menschen hinter unseren neuen Ideen stehen.
Trotzdem herrschte bei vielen Wahlberechtigten die Überzeugung, dass eine Stimme für uns verschenkt sei. Das stimmt so nicht. Zum einen helfen uns die Stimmen bei der Parteienfinanzierung. Die gibt uns eine bessere Grundlage für die nächsten Wahlen. Gleichzeitig wird, auch wenn wir nicht in den Bundestag einziehen, wir aber eine gewisse Prozentzahl erreichen, über uns geredet und unsere Themen werden relevanter. Doch das war nicht die einzige Herausforderung.
Was meinst du damit?
Dieser verkürzte Wahlkampf war für uns als junge Partei eine enorme Belastung. Wir mussten in der kurzen Zeit Unterschriften sammeln, eine komplette Kampagne aufstellen und unser Wahlprogramm erstmal fertigschreiben. Wir hatten nicht die Vorbereitung und die Zeit, die wir gebraucht hätten – und dafür haben wir es wirklich gut gemacht. Wir hatten deutlich vor der Frist in allen Bundesländern die nötige Zahl an Unterschriften. Viele Kleinparteien konnten ja tatsächlich gar nicht in allen Bundesländern antreten.
Mit welchen Gefühlen blickst du auf den neugewählten Bundestag?
Neben einem deutlich weniger repräsentativeren Bundestag, zum Beispiel beim Anteil von Frauen und jungen Menschen, habe ich tatsächlich ein bisschen Angst vor den Entwicklungen und davor, wie es mit der neuen Regierung weitergeht. Viele wichtige Themen scheinen stark auf der Strecke zu bleiben. Zum Beispiel Klimaschutz fällt als Thema komplett herunter. Auch Investitionen in die Bildung werden unzureichend mitbedacht. Ich sehe momentan nicht, dass die SPD es gerade schafft, in die Koalition ein starkes soziales Profil reinzubringen. Ich glaube, das wird letztendlich nur zu noch mehr Frust bei den Menschen führen, weil sie nicht abgeholt werden, weil ihre Probleme wieder nicht wirklich angegangen werden, sondern Scheindebatten geführt werden. Und wenn es jetzt schon damit losgeht, dass Merz kurz nach der Wahl sein zentrales Wahlversprechen bezüglich der Schuldenbremse bricht, dann bedeutet das von Anfang an einen super starken Vertrauensverlust in diese Regierung. Das schadet unserer Demokratie, auch wenn dieser Schritt mehr als notwendig war.
Der nächste Bundeskanzler wird mit größter Wahrscheinlichkeit Friedrich Merz heißen. Wenn du ihn persönlich sprechen könntest: Was würdest du ihm sagen?
Bitte hör auf, Migranten und Flüchtlinge und generell marginalisierte Gruppen, die schlimme Erfahrungen gemacht haben, die sich in Deutschland ein Leben aufbauen und eine Zukunft haben wollen, zu stigmatisieren und für alle Probleme verantwortlich zu machen. Das stärkt die Spaltung der Gesellschaft nur noch mehr und ist letztendlich eine Gefahr für unsere offene, demokratische Gesellschaft. Geh die Probleme an, die jetzt wirklich relevant sind!
Du hast den Punkt Klimaschutz schon angesprochen. Bei einigen Wahlberechtigten wurdet ihr gerade in diesem Punkt als Alternative zu Bündnis 90/Die Grüne gesehen. Was unterscheidet euch in diesem Thema genau voneinander?
Wir denken den Klimaschutz mittlerweile noch konsequenter als die Grünen. Wir wollen bis 2040 klimaneutral werden und ganz konkret bis spätestens 2028 alle klimaschädlichen Subventionen abschaffen. In der letzten Legislaturperiode im Europaparlament gab es auch vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland eine Untersuchung, welche Parteien am meisten für Klimaschutzprojekte gestimmt haben – und da war Volt ganz oben an erster Stelle. Dennoch möchte ich nicht sagen, dass wir uns grundlegend von den Grünen beim Klimaschutz unterscheiden. Ich glaube, die Unterschiede sind in anderen Bereichen deutlicher.
In der Berichterstattung hat der Klimawandel jedoch nur eine untergeordnete Rolle gespielt. War dies auch ein Punkt, der euch Stimmen gekostet hat?
Es gab in den Talkshows ziemlich genau zwei Themen: Migration und Wirtschaft. Themen wie soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz oder Bildung waren kaum in der öffentlichen Debatte vertreten. Doch gerade das sind die drängenden Probleme unserer Zeit. Das heißt, wir müssen über diese Themen reden und sie angehen. Es hat vielen progressiven Parteien geschadet, dass das überhaupt kein Thema im Wahlkampf war – und damit auch uns.
Was fehlt der Debatte um den Klimawandel?
Es fehlt die zeitliche Einordnung und das Bewusstsein für die Dringlichkeit des Klimaschutzes. In Deutschland wollen wir momentan laut Plan bis 2045 klimaneutral werden. Es ist schön, sich diese Ziele auf die Fahne zu schreiben, aber das allein reicht nicht aus, denn das 1,5-Grad-Ziel haben wir beispielsweise schon gerissen. Es braucht Entscheidungen, die uns auf diesen Weg führen, sowie Klimaanpassungsmaßnahmen, die uns im Kontext der Erwärmung noch ein gutes Leben ermöglichen können. Ich denke da beispielsweise an das Schwammstadt-Konzept, das in Städten wie in Kopenhagen schon umgesetzt wird.
Aus der „Letzten Generation“ sind zwei Folgeprojekte entstanden. Unter anderem die „Neue Generation“, die sich für eine stärkere Bürgerbeteiligung einsetzten möchte. Was hältst du von solchen Initiativen?
Dass wir die Menschen mitnehmen müssen, ist der alles entscheidende Punkt beim Klimaschutz. Daher sehe ich Bürgerbeteiligung als einen super wichtigen Weg, um Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen zu schaffen. Gleichzeitig muss der Klimaschutz auch auf der politischen Ebene Priorität sein. Ein Wegschieben der Thematik nach dem Motto: „Dann sollen die Bürgerräte sich mal darum kümmern“ – das darf es nicht geben.
Gleichzeitig gibt es Personengruppen, die die Klimabewegung zum persönlichen Feindbild erklärt haben. Wie nimmt man solche Menschen mit?
Ein wichtiger Punkt ist, dass wir den Menschen klar machen, welche positiven Aspekte Klimaschutz für sie bringen kann. Die Menschen, die von der „linksgrün-versifften Elite“ reden, denken häufig aus einer sehr ich-bezogenen Perspektive. Man kann sie abholen, in dem man sich auf diese Ich-Perspektive bezieht. Zum Beispiel, indem man sagt: Wir schaffen jetzt einen regionalen Klimabonus. Das heißt, Geld aus der CO2-Steuer fließt zurück an die Menschen, wenn sie besonders klimafreundlich unterwegs sind. Das kann dir ganz konkret helfen. Zudem müssen wir lernen, mit diesen Menschen zu reden. An Infoständen habe ich die Erfahrung gemacht: Wenn man das Gespräch anfängt und wirklich auf die Sorgen der Menschen eingeht und ihnen zuhört, dann schafft man auf einmal eine Nähe zwischen Politik und Gesellschaft. Das ist eine Chance, die wir unbedingt nutzen müssen, denn nur so kann ein breites Verständnis geschaffen werden.
Titelbild: Jakob Schade


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