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  • Was uns nicht umhaut, macht uns weiblich

    Zwischen Dating-Apps, Körperbildern und Arbeitswelt: Neue feministische Literatur zeigt auf der Buchmesse, wie vielschichtig „Frau-Sein“ heute ist – ehrlich, mutig und überraschend erfrischend.

    Im Rahmen von „Leipzig liest“ wurde auf der Leipziger Buchmesse auch neue feministische Literatur vorgestellt. Die Bücher thematisieren ein breites Spektrum – vom Muttersein über Weiblichkeit in der Arbeitswelt bis zur Liebe im Alter.

    Eines dieser Werke wurde am Stand des Gastlandes Norwegen von der Autorin Wenke Mühleisen vorgestellt. Die norwegische Fassung von „Alles, wovor ich Angst habe, ist schon passiert“ wurde von Ina Kronenberger übersetzt, auch wenn die Autorin selbst Deutsch spricht. Dieser Umstand erleichterte jedoch die Vorstellung des Buches, eine Mischung aus Lesung und Interview vor einem zum Großteil deutschsprachigen Publikum. Ein Blick auf die Zuschauenden lässt ahnen, worum es geht: viele Frauen, einige Männer und die meisten über 50 Jahre alt. Es geht um Liebe im Alter – vor allem als Frau. Wenke Mühleisen erzählt, dass ihre eigene Erfahrung sie zu dem Buch inspiriert habe. Sie habe außerdem schon viele Bücher über ältere Männer gelesen, es gebe aber sehr wenige über ältere Frauen. Das Buch erzählt uns die Geschichte einer Ende 60-jährigen Frau, die nach langjähriger Ehe von ihrem Partner verlassen wird. Sie wohnt nun alleine – ein Umstand, der ihr zu schaffen macht. Zudem beschränkt die Pandemie ihre Möglichkeiten, neue Kontakte zu finden. Gefangen in Einsamkeit hadert sie mit dem Gedanken, den Rest ihres Lebens allein zu verbringen.

    „Eine attraktive Frau ist prinzipiell immer eine junge Frau.“

    Mühleisen erzählt, dass ihre Figur ganz unten angefangen hat – tief im Dunkeln. Damit ist sie offensichtlich nicht allein, denn Einsamkeit im Alter ist ein Thema, das viele Frauen beschäftigt – das bestätigt sich schon durch das zustimmende Nicken im Publikum. Dazu zählt auch das eigene Körperbild im Alter. Viele ältere Frauen fühlen sich in ihrem Körper nicht selbstbewusst – und das hat seine Gründe. Ein Problem, das die Autorin sieht: „Eine attraktive Frau ist prinzipiell immer eine junge Frau.“ Diese Erkenntnis macht sich auch im Leben der Roman-Figur bemerkbar. Sie endet trotzdem nicht allein und deprimiert in ihrer Wohnung – sie entscheidet sich, der Liebe, und vor allem sich selbst, noch eine Chance zu geben. Konkreter: Sie meldet sich auf Dating-Plattformen an. Dort sammelt Mühleisens
    Figur einige Erfahrungen – unter anderem, wie sehr das Alter eine Rolle spielt. Während ältere Frauen nach gleichaltrigen Männern suchen, richten diese ihren Blick oft auf Jüngere. So habe sie hauptsächlich Männer um die 70, 80 und 90 angezeigt bekommen. Das Publikum lacht. Man spürt, dass viele hier ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Mühleisen stellt fest: „Online-Dating ist ein kompliziertes Spiel, für das man eine dicke Haut braucht“. Und wer denkt, dass der Roman aufgrund des Alters der Protagonistin prüde und konservativ geschrieben wäre, könnte falscher nicht liegen. Vor „Schwänzen“, Gleitgel und Kondomen macht die Autorin keinen Halt.

    Das mutige Buch nimmt die Leser*innen mit auf eine Reise, die von Höhen sowie Tiefen geprägt ist. Die Frauen hätten dabei nichts zu verlieren, denn „wie sicher viele wissen, kann man jahrelang in einer Beziehung leben, die nicht mehr lebendig ist“, meint die Autorin. Das sei die schlimmste Art der Einsamkeit – neben einem Menschen zu leben und doch einsam zu sein. So findet die Autorin am Ende ihres Buches sogar eine versöhnliche Perspektive im Bezug auf den Ex-Mann der Hauptfigur. Letztlich ist sie dankbar, dass er den Schritt gewagt hat, sich zu trennen. So konnte eine Frau, die dachte schon alles hinter sich gehabt zu haben, so viel Neues entdecken.

    Die Vorstellung des Buches, bei der einige Kapitel erst auf norwegisch, dann auf deutsch vorgelesen wurden, präsentierte nicht nur die literarische Vielfalt des Gastlandes Norwegen, sondern schaffte einen safe space für ältere Frauen, den es bisher viel zu wenig gibt. Das spürt man auch im Publikum. „Das, was sie gesagt hat, hat jede Frau in älteren Semestern schon erfahren: Man wird unsichtbar“, erzählt eine Besucherin. Deswegen bedeute es ihr viel, dass die Autorin so couragiert ist und ihre Erfahrungen teilt.

    „Ich habe das Buch auch für mich selbst geschrieben.“

    Dass ältere Frauen oft erschreckend negativ dargestellt werden, erkennt auch Veronika Fischer, die ebenfalls auf der Buchmesse auftritt. Ihr Buch Female Working rückt die Arbeitswelt in den Mittelpunkt – als einen Bereich, in dem Frauen ebenfalls mit Herausforderungen kämpfen. Als Mutter von drei Kindern und freie Autorin hat sie selbst schon einiges erlebt. „Ich habe das Buch auch für mich selbst geschrieben“, erzählt sie in einem Veranstaltungsraum in der Leipziger Innenstadt. Auch hier ist das Publikum von Frauen geprägt. Sie wollen erfahren, was Veronika Fischer festgehalten hat: Wie können wir weibliche Stärken in der Arbeitswelt nutzen?

    Neben Female Working hat Autorin Veronika Fischer auch Liebe und Zwischentür und Zeitmangel geschrieben. (Foto: Luisa Holzkamp)

    Die Autorin betont, dass sie mit „weiblichen“ Eigenschaften diese meint, die von der Gesellschaft als weiblich eingeordnet werden. Solche Eigenschaften werden immer noch abgewertet oder unsichtbar gemacht. Dazu zählt sie unter anderem Intuition, Solidarität, die Kraft des Schöpfens und eine gute Balance. Um herauszufinden, wie wir diese Stärken nutzen können, hat die Autorin verschiedene Künstler*innen interviewt, die konkrete Tipps geben. Dabei spricht sie unter anderem Themenbereiche wie Mode, Körperformen und Alter an. Veronika Fischer erzählt, lässig auf einem Hochstuhl sitzend, dass sie versucht hat, einen positiven Zugang zum Frau-Sein zu finden. „Weiblichkeit und Muttersein kommen in feministischer Literatur nicht gut weg.“ Nur selten lese sie konstruktive Lösungen in den Texten.

    „Weiblichkeit und Muttersein kommen in feministischer Literatur nicht gut weg.“

    Und auch, wenn sie die Notwendigkeit dieser Debatten betont, wolle sie einen anderen Schwerpunkt setzen. „Ich bin sehr gerne eine Frau und ich bin sehr gerne eine Mutter“, sagt Fischer. Deswegen berät sie ihre Leser*innen, wie man „Weiblichkeit“ als Stärke nutzen kann. Ein Thema, das ihr besonders am Herzen liegt, ist zyklusorientiertes Arbeiten. In vielen Unternehmen ist dieses Thema kaum präsent, dabei kann es, so Fischer, ein großer Vorteil sein, den eigenen Zyklus zu verstehen. Dazu zählt unter anderem eine angepasste Ernährung, aber auch das Bewusstsein, dass man Arbeit darauf abstimmen kann. So könnten Frauen, die keine Menstruationsbeschwerden haben, die Kolleg*innen unterstützen, die damit zu kämpfen haben.

    Am Ende habe sie für sich entschieden, dass sie nicht ständig im Kampf der Geschlechter stehen möchte. Konstruktive Lösungen erscheinen ihr wichtiger – und dem Publikum scheint das ebenfalls zu gefallen, nicht nur weil Gratisbier verteilt wurde. Mit ihrem Ansatz scheint die Autorin einen neuen Zugang zum Feminismus gefunden zu haben, der neben den notwendigen Debatten auch einen positiven Ausblick bietet und das Frau-Sein sowie die „Weiblichkeit“ feiert.

    Die neue feministische Literatur hinterlässt auf der Buchmesse einen bleibenden Eindruck: Sie erinnert uns daran, dass Frau-Sein nicht nur eine Last, sondern auch eine Stärke ist. Weiblichkeit ist nicht nur ein Thema für kritische Debatten, sondern etwas Schönes, das gefeiert werden sollte – unabhängig von Alter, Lebenssituation oder Familienstand.

    Titelbild: Luisa Holzkamp

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